Russisches Abendmahl
hat.
Nabis Wohnung ist schon ein Chaos, bevor Vadim und ich überhaupt angefangen haben. Die Sonne scheint, es ist fast neun Uhr morgens, aber für mich fühlt es sich noch wie Nacht an und nicht, als wären sechs Stunden vergangen, seit Juris Anruf mich aus dem Bett geholt hat. Reste von Mahlzeiten liegen über den Boden und die gekachelte Arbeitsfläche verstreut, die von einem kränklichen Grün ist, außer da, wo der Dreck in den Fugen lila angelaufen ist. Vadim nimmt sich den Wohnbereich mit einem Reifeneisen vor, während ich durch schmutzige Wäsche und alte Zeitungen ins abgedunkelte Schlafzimmer wate und das Licht anschalte. Im Bett, vom Schlaf zerzaust, liegt Lilia, die Prostituierte und Frau des Ex-Soldaten Leonid.
Sie schreckt hoch, legt sich aber wieder hin, als sie sieht, dass ich es bin. Sie gibt sich keine Mühe, ihre Brüste zu bedecken, die schwer über ihren üppigen Bauch fallen.
»Nabi ist nicht da«, nuschelt sie.
Wenn sie mein Besuch überrascht, dann lässt sie es sich nicht anmerken. Im vorderen Zimmer macht Vadim Kleinholz aus den Möbeln, aber das Geräusch scheint sie kalt zu lassen. Das Bett ächzt, als ich mich auf die Kante setze. »Warum bist du hier?«
»Was denkst du?« Sie versucht ein sexy Lächeln, aber der Nebel aus Drogen und Schlaf verwandelt es in eine schiefe Grimasse.
»Wann ist er gestern Abend gegangen?«
»Ich weiß es nicht. Wir sind zusammen ins Bett gegangen, aber …« Sie zuckt die Schultern. »Typen wie ihr, ihr seid ja zu den seltsamsten Zeiten unterwegs.«
Ich streiche mit der Hand übers Bett. »Wie lange geht das schon mit ihm?«
»Einen Monat. Vielleicht zwei. Was spielt das für eine Rolle?«
»Wo bewahrt Nabi die Papiere auf?«
Ihre Augen flackern berechnend. »Was krieg ich dafür?«
Um Leonid tut es mir nicht leid, vor allem, wenn er es war, der die beiden Soldaten getötet hat, wie ich vermute. Sicherlich hat ihn seine verzweifelte Lage, sich den Virus vom Leib halten zu müssen, dazu bewogen, aber er hätte Alternativen gehabt, vielleicht jedenfalls. Er hat sich für die falsche Seite entschieden, und das ist mit ein Grund dafür, dass sie jetzt hier ist. Das Messer gleitet in meine Hand. Ich schwenke es im Licht, sodass der reflektierende Schein sich in ihre Augen bohrt. Unterhalb ihrer hängenden linken Brust pocht eine Ader. Sie zeigt auf den Fußboden. »Unter einer der Bohlen.«
Ich rufe Vadim. Wir schieben das Bett mit Lilia darin zur Seite. Er zwängt das gespaltene Ende des Reifeneisens zwischen zwei dicht nebeneinander liegende Planken und lässt sie auseinandersplittern. Darunter versteckt liegt eine Metallkiste mit einer Kombination aus drei Zahlenrädern.
Vadim bricht die Kiste auf, und es ist alles da - Geld, Schmuck, Kontoauszüge und andere Papiere, aus denen hervorgeht, dass mich Nabi seit mehr als einem Jahr hintergeht. Und ein Stapel Fotos, alle von mir. Im Park mit Juri, wie ich den Rentnern Geld gebe, wie ich in St. Petersburg die Straßen erkunde, kurz vor Morgengrauen Hand in Hand mit Valja auf dem Weg zum Loft.
Vadim hockt auf seinen Absätzen und wartet auf Anweisungen. Lilia sitzt am anderen Ende des Betts, die Augen auf das Messer in meiner Hand gerichtet. Beide sind weit weg.
Ich höre Maxims grollendes Lachen in meinem Kopf widerhallen. Ich spüre seinen heißen Atem in meinem Nacken, so real, dass ich mich wegdrehen muss. Er ist überall, als bewege er Figuren auf einem Schachbrett. Ich komme mir vor wie ein Turm, der für die gegnerische Dame geopfert wurde.
»Kann ich jetzt gehen?«, fragt Lilia. »Ich muss noch etwas erledigen.«
»Leg die Kiste dorthin, wo sie war, und schieb das Bett wieder drüber«, sage ich zu Vadim. »Und sorg dafür, dass sie sich anzieht. Sie fährt mit uns.«
32
Nabi fährt einen blitzschnellen Audi. Er parkt ihn in der zweiten Etage einer Tiefgarage unter seinem Haus. Wadim braucht an jenem Abend zwanzig Minuten, um einen Gegenstand am Unterboden des Wagens anzubringen, direkt unter dem Fahrersitz. Danach gehen wir zu einem staubigen roten Mitsubishi, von dem aus man den Audi sehen kann, und warten.
Als Nabi hinter das Steuer des Audis rutscht, ist es sechs Uhr morgens. Er schaut sich vorsichtig um und ist sichtlich nervös, was kein Wunder ist, nachdem er seine Wohnung in diesem Zustand vorgefunden hat. Wahrscheinlich macht er Lilia und einen ihrer Liebhaber für das Chaos verantwortlich. Er weiß nicht, dass ich ihm auf die Schliche gekommen bin. Wenn er es wüsste,
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