Russisches Abendmahl
Heizung gefesselt, drückt das Gesicht ins Essen und schnaubt wie ein Schwein. Seit über einer Woche hat sie nicht geduscht. Ein Fall für die Cosmopolitan ist sie jedenfalls nicht mehr.
Am späten Nachmittag lasse ich sie allein und fahre zum Café. Ein Drei-Tage-Bart kratzt in meiner Hand, als ich mein müdes Gesicht reibe. Meine Augen fühlen sich sandig an, die Augenwinkel hängen tief. Im Keller ist es heiß und stickig. Von oben kommt Lärm. Mir fällt ein, dass Freitag ist und Vadim jede Menge zu tun hat. Er steckt seinen Kopf durch die Tür und nickt mir zu.
Ein paar Minuten später kommt er mit einem Tablett mit Kaffee runter. Er gießt ein, und wir sitzen schweigend da und nippen an unseren Tassen. Die staubigen Spielautomaten stehen aufgereiht im Dunkeln. Sie erinnern mich an die Terrakotta-Soldaten im chinesischen Xian, einsame Wächter, die auf den Ruf in die Schlacht warten, der niemals kommen wird. Ich kann mich nicht dazu durchringen, ihm von Valjas Fuß zu erzählen.
»Ein Hauptmann hat nach dir gefragt«, sagt Vadim nach einer Weile.
Dubinin. Ich hatte die toten Soldaten in der Kaserne schon fast vergessen.
»Er sagt, du sollst ihn unter dieser Nummer anrufen.« Vadim schiebt mir einen Zettel über den Tisch zu. Er stellt die Tassen zurück aufs Tablett. Er glaubt, ich sei so niedergeschlagen, weil wir Nabi getötet haben. »Nabi hat den falschen Weg gewählt«, sagt er nüchtern, als er geht. »Er hat dir keine Wahl gelassen.«
Ich rufe die Nummer auf dem Zettel an. Dubinin antwortet missmutig.
»Was wollen Sie?«, frage ich ihn.
»Wo waren Sie?«
»Sie können mich mal, Dubinin.« Ich habe keine Lust, jemandem zu erklären, wie meine Geschäfte laufen, vor allem nicht, wenn ich ihm in keiner Weise verpflichtet bin.
Es folgt langes Schweigen. Mir wird bewusst, dass Dubinins Dienstgrad irreführend ist. Er ist es nicht gewöhnt, dass man so mit ihm redet. Ich frage mich, was er denkt. Wahrscheinlich überlegt er, ob er höher gestellt ist als ich, sowohl offiziell, als auch in den Augen des Generals.
»Wir haben eine Spur«, kommt er gleich zur Sache, statt sich mit mir herumzustreiten. »Die Ballistiker haben die Kugeln einer der Waffen zugeordnet, mit denen vor einigen Jahren ein Waffenhändler ermordet wurde. Die Waffe, mit der der Todesschuss verübt wurde.«
Ich erinnere mich an die Geschichte, obwohl ich damals in Tschetschenien war und nur aus zweiter Hand davon gehört habe. Der Waffenhändler war ein Mafiosi aus Tadschikistan mit militärischem Background. Als die Mauer fiel, nutzte er seine Kontakte und gründete eine Exportfirma, mit der er Panzer und schwere Waffen an Friedenstruppen in Somalia verkaufte und später sowohl an die Afghanische Nordallianz als auch an deren Gegner, die Taliban. Aber dann wurde er gierig und stürzte sich auf die lukrativen afrikanischen Märkte - Angola, Liberia, Ruanda, Sudan, Swaziland, Kongo und viele andere. Eine gute Idee, wenn es da nicht ein Problem gegeben hätte - die afrikanischen Waffenmärkte gehörten schon Maxim. Also wurde der Mann auf spektakuläre Weise hingerichtet, zusammen mit zwei unglückseligen Prostituierten und einem Bodyguard in einer Suite im Hotel Baltschug Kempinski. Dass Gromow die Sache damals für Maxim erledigt hat, überrascht mich nicht.
»Und?«, frage ich Dubinin.
»Wir haben die Waffe gefunden, und wir haben Fingerabdrücke.«
»Gromow«, sage ich.
Seine Überraschung quillt förmlich durch die Hörmuschel. »Woher zum Teufel wussten Sie das?«, fragt er.
»Ich hab’s geraten.«
Er murmelt etwas Unverständliches und sagt dann:
»Wir nehmen ihn jetzt in die Mangel, auf der Polizeistation Kosigina. Wir treffen uns dort.«
Ich lege auf und überlege, ob es eine gute Idee ist, Gromow für ein Verbrechen sitzen zu lassen, das er nicht begangen hat.
Das Fenster des Verhörraums in der Wache an der Kosigina Straße ist aus Spiegelglas. Ein Polizeibeamter mit Whiskyfahne bringt mich hin. Dubinin ist schon dort und verfolgt die Prozedur.
Gromow ist an einen am Boden festgeschraubten Metallstuhl gekettet, hinter einem Holztisch, in den bereits diverse Häftlinge vor ihm ihre Fingernägel gegraben haben. Seinem mitgenommenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen sitzt er schon eine Weile hier.
»Mord, Gromow«, sagt Viktor, der Polizeichef. Er sitzt mit einer Pobacke auf dem Tisch, neben sich einen Totschläger. Die Hände liegen im Schoß gefaltet, sodass man den glänzenden Schlagring an seiner rechten
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