Russisches Abendmahl
in seine eng an den Waden liegenden Stiefel gestopft hat, und eine abgeschnittene Jacke mit Metallknöpfen. Er geht die Treppe runter zu den Tunneln, die zur Metrostation Ploschtschad Rewoljuzii führen. Ich werfe mein fettiges Essen weg und folge ihm, vorbei an fliegenden Händlern, verdreckten Straßenmusikern und Horden von Teenagern. Er ignoriert die lebensgroßen Bronzestatuen russischer Arbeiter auf dem Bahnsteig und starrt stattdessen mit dem Fuß wippend auf die Digitaluhr, die die Zeit anzeigt, bis die nächste Bahn kommt.
Die Bahn trudelt ein, die Türen öffnen sich, er steigt ein und fährt bis zur Station Komsomolskaja. Ich steige mit ihm aus. Er drängelt sich durch den Pulk, ohne die Mosaike an der Decke zu würdigen, Darstellungen Russlands großer Kriege gegen deutsche Kreuzritter, Tartaren, Polen, Österreicher, Franzosen, und dann wieder die Deutschen. Die blutige Vergangenheit des Heimatlandes, stilisiert auf schwarz angelaufenen Kacheln. Die Toten, die Sterbenden und die auf ewig Verwundeten nebeneinander gestapelt … wozu? Damit ignorante Ausländer wie Pappalardo durch Moskaus Nachtleben ziehen und sich in der Gosse die Ärmsten ihrer Söhne und Töchter angeln.
Er geht Richtung Süden, über nasse Straßen und durch tropfende Unterführungen hindurch, bis uns das rhythmisch flackernde Neonlicht von Leuchtreklamen umhüllt. Er bleibt kurz stehen, sieht sich um und läuft dann weiter. Zwei Straßen später werden die Lichter schwächer, die Musik lauter und die Leute dubioser. Pappalardo passt gut in diese Gegend. Es sind hauptsächlich Männer und Jungs in Leder unterwegs. Überall sieht man Hundehalsbänder, Ketten und gepiercte Brustwarzen. Ein Muskelpaket stellt sich Pappalardo in den Weg, dreht ihm den Rücken zu und greift sich an die Fesseln, sodass der lange Schlitz in seiner Hose den Blick auf seine weit aufgerissenen behaarten Arschbacken freigibt. Er lacht und wartet auf eine Reaktion, sehr zur Freude seiner Kumpels. Pappalardo nickt ihm vorsichtig zu, um jeden Ärger zu vermeiden, und zwängt sich vorbei.
Ich bleibe so unauffällig wie möglich hinter ihm. Ein paar Leute im Gedränge scheinen zu ahnen, was ich hier will, es kommt mir also nicht ganz ungelegen, als er ein verwahrlostes Chruschtschow-Ära-Haus betritt. Einige Bewohner lehnen sich aus den Fenstern, brüllen, fluchen, reden irgendwelches Zeug oder beobachten einfach den Strudel von Menschen auf der Straße. Der Boden in der Eingangshalle klebt vor Dreck. Ein nacktes Kind schreit und windet sich in einer feuchten Ecke neben einer zerknüllten Dose Red Bull und einer durchnässten Zeitung. Als ich die Tür zum Treppenhaus aufdrücke, schlägt sie gegen einen Körper.
»Hau ab«, sagt eine Stimme.
Ich gleite hinein und lasse die Tür zuschwingen, hinter der ein Mann mit Pferdeschwanz und Jeansweste von hinten mit einer Frau kopuliert, die sich mit den Armen an der Wand abstützt. Ihr Kopf hängt nach unten und ihr zerzaustes schwarzes Haar verschleiert ihr Gesicht. Ihr Rock ist bis zur Hüfte hochgeschoben und die langen Beine stemmen sich fest gegen seine Stöße. Sie bemerkt mich nicht, er dagegen schon. Er blinzelt mich an, und sein Blick fällt auf die Sig in meiner Hand.
»Ich hab nichts gesehen«, sagt er, sichtlich verängstigt.
»Wessen Baby ist das?«
Schweigen. Ich schiebe ihm den Lauf meiner Sig unter die Hakennase. Schielend starrt er auf das geölte Chrom.
»Meins«, sagt die Frau und hebt den Kopf.
Ihre Augen strahlen unglaublich blau gegen das rabenschwarze Haar. Normalerweise erkenne ich Kontaktlinsen, aber diese Farbe scheint mir echt zu sein. Sie könnte wahrscheinlich schön sein, aber die Drogen und das Leben haben eine vertrocknete Hülle aus ihr gemacht. »Seht zu, dass ihr fertig werdet«, sage ich zu ihm. »Und kümmert euch um das Kind.«
Die Kinnlade fällt ihm runter, aber ich bin schon weg und folge Pappalardos Schritten langsam und leise die Treppe hinauf. Im fünften Stock biegt er in einen Flur ab, der mich an den vor Maschas Wohnung erinnert, abgesehen davon, dass dieser hier von langschwänzigen Ratten bevölkert wird. Weiter vorn sehe ich ihn schemenhaft in einen Raum huschen.
Während ich mich der Tür nähere, schraube ich gewissenhaft den Schalldämpfer auf die Sig. Es wäre sicherer zu warten und ihm Zeit zu lassen, sich auszuziehen und mit dem anzufangen, weswegen er hier ist - Sex, Drogen, oder auch beides. Aber das entspricht nicht meiner augenblicklichen Verfassung,
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