Russisches Abendmahl
gefunden.
Ich klappe meinen Laptop zu. Sehe nach Valja, aber sie schläft noch. Gehe zu einem Fenster mit Blick auf die Straße, die übersät ist von den Überresten der Moskauer Drogenkultur. Die nackte Glühbirne der Straßenlaterne wirft ihr gelbsüchtiges Licht auf ein benutztes Stück Folie, kaputte Spritzen, Zigarettenkippen, Bierdosen, Weinflaschen, eine trüb-orangefarbige Lache trocknende Kotze und eine bewusstlose Hure, deren hochgezogener Rock ein angezogenes weißes Bein zum Vorschein bringt, das wie kaltes Elfenbein auf dem schwarzen Teer schimmert.
Ich drehe mich vom Fenster weg und rufe Vadim über die Kurzwahl an.
»Bereit?«, frage ich ihn.
37
Wir treffen uns vor dem Tor eines Taxidepots in der Nähe des Nowospasski-Klosters. Durchtrennen die Kette mit einem Bolzenschneider. Stehlen ein Taxi. Fahren die Strecke noch einmal ab, nehmen dann unsere Position ein und warten schweigend.
Kurz vor sechs wirft Vadim den Motor an. Im Leerlauf warten wir weiter. Risse in den drohenden Wolken lassen Spuren vormorgendlicher Dämmerung erkennen. Die Neonlichter der Casinos auf dem stark patrouillierten Nowy Arbat gehen flackernd aus. Der frühmorgendliche Verkehr kriecht dahin.
Ich betrachte den 38er, den Maxim mir gegeben hat, und frage mich, ob er schon mit irgendeinem anderen Mord in Verbindung gebracht wird oder ob dies der erste sein soll. Die Antwort spielt im Grunde keine Rolle. Ich stecke die Waffe ein, ziehe Handschuhe über und überprüfe die Patronen einer anderen Pistole, einer 38er Spezial aus Vadims Beständen.
Vadim gibt ein Brummen von sich, als Jakowenkos Limousine in Sicht rollt.
Ich steige aus dem Taxi. Laufe langsam Richtung Bürgersteig, zu der Stelle, wo er rausgelassen wird. Hinter mir höre ich das Getriebe schleifen, während Vadim den Wagen in Fluchtposition bringt. Ich dränge an den Menschen vorbei, den Kopf gesenkt, gestaltlos, anonym in einem langen schmutzig-grauem Mantel. Die Limousine kommt näher und bleibt in perfekter Position stehen, fast genau am Ende der Seitenstraße, durch die wir flüchten werden.
Jakowenko hüpft hinaus. Er scheint ein Morgenmensch zu sein, seine fleischigen Wangen glühen rosig, und er lächelt. Er tritt vor, selbstbewusst, auf vertrautem Revier, lässt seinen Bodyguard in der Limousine zurück. Er erwartet, dass die Menge sich vor ihm teilt, was sie auch tut, indem sie eine Art Tunnel zwischen ihm und mir bildet. Unsere Blicke treffen sich. Er gerät ins Stocken. Eine Ahnung steigt in seinen Augen auf. Ich bin sicher, dass er nicht weiß, wer ich bin. Er hat mich noch nie gesehen. Aber er weiß, was ich bin.
Eine Schulterbewegung schlägt den Mantel zurück, hinter dem sich mein Arm mit der Pistole hebt. Seine Augen werden größer, wie Porzellanteller mit braunen Kreisen in der Mitte. Der Lauf meiner Waffe muss ihm riesig vorkommen, groß genug, um ihn mit Haut und Haaren zu verschlucken. Er fällt zurück, rudert verzweifelt mit den Armen, aber es ist zu spät.
Ich komme ganz nah an ihn heran. Presse ihm den Lauf gegen die Stirn. Drücke ab und sehe zu, wie ein dicker Strahl Blut auf die verdunkelte Scheibe der Limousine hinter ihm spritzt. Der Boden rutscht unter ihm weg, er landet auf der Straße und prallt mit dem Rücken gegen einen Reifen. Seine Lippen bewegen sich, aber es kommt kein Wort heraus - sicher nur ein Reflex.
Die Menge bricht schreiend auseinander. Diejenigen, die sehen können, was passiert ist, versuchen verzweifelt zu fliehen.
Ich werfe einen Blick in die Limousine, um nach dem Bodyguard zu sehen. Er lehnt gegen die gegenüberliegende Tür und schaut absichtlich in die andere Richtung. Ich bin froh, dass er heute nicht sterben muss.
Ich jage Jakowenko zwei weitere Kugeln in den Kopf. Rolle ihn zur Seite, um sicher zu gehen, dass ich ihm den hinteren Teil seines Schädels weggeblasen habe und man die braune Suppe darunter sieht.
Dann stecke ich die Pistole ein und verschwinde in der aufgebrachten Menge. Wer beim ersten Schuss neben mir stand, nimmt hektisch Reißaus. Andere drängen vor, wollen wissen, was los ist, und quetschen mich beiseite, um besser sehen zu können. Als ich die erste Welle von Gaffern hinter mir gelassen habe, bin ich schon nicht mehr in der Menge auszumachen.
Zehn Schritte weiter springe ich auf den Rücksitz des Taxis. Vadim lenkt den Wagen langsam und vorsichtig vom Bürgerstieg weg und blinkt uns von einer Fahrbahn zur anderen durch den kriechenden Morgenverkehr. Ich ziehe die
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