Russisches Abendmahl
nicht. Er hat zufällig den Idioten Arkadij belauscht.«
»Was ist dann passiert?«
»Er ist ausgeflippt. ›Das ist ein Sakrileg‹, meinte er. ›Das dürft ihr nicht.‹ Er hat sie versteckt, und er weigerte sich zu sagen wo, außer, dass sie irgendwo in der Kirche seien. Seitdem bin ich auf der Flucht.«
»Wer ist der Mann, dem ihr die Bilder zuerst gegeben habt?«
»Ich weiß es nicht. Ich wollte sie niemandem geben.«
»Warum habt ihr es dann getan?«
»Man hat es mir befohlen.«
»Wer?«
Der General wirkt unruhig, als gefiele ihm die Richtung nicht, in die meine Fragen abzielen. »Maxim natürlich«, sagt er. »Frag ihn nach Maxim.«
Es ist nicht unbedingt die Art des Generals, eine Befragung an so einem Punkt zu unterbrechen. Ich kann nicht anders, als ihn verblüfft anzustarren. Schließlich lasse ich von Lipman ab und stelle mich neben das Bett.
»Frag ihn«, wiederholt der General.
»Wie ist Maxim in die Sache verwickelt?«
»Maxim hat von unserem Plan erfahren, als wir uns mit Henri Orlan in Verbindung gesetzt haben. Er hat uns gezwungen, mit dir zusammenzuarbeiten. Wir hatten keine Wahl. Er sagte, wir sollten vorsichtig sein, du seiest viel cleverer als du aussiehst.«
Eine weitere Verbindung hat sich bestätigt. Maxim hat über Orlan von den Bildern erfahren - und über dessen gelegentliche Mitbewohnerin, Posnowa. Daraufhin holte er sich Lipman und Arkadij ins Boot, das dachte er jedenfalls, bevor sich herausstellte, dass Lipman noch andere Ziele verfolgte. Maxim benutzte Arkadij, um mich dazuzuholen, und Gromow und Nigel Bolles, um mich zu Orlan und Posnowa zu führen, damit der Kreis so dicht wie möglich blieb. Außerdem engagierte er aus irgendeinem Grund Nabi, warum genau weiß ich nicht, außer vielleicht, um mich im Auge zu behalten und in meine Geschäfte reinzufunken.
Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Eine andere Spur führt zu jemandem, der Lipman befahl, die Bilder dem Mann auszuhändigen, der sie dann Felix, dem Hausmeister, gab. Denn Maxim hat sie im selben Augenblick verloren wie ich - als Lipman in dem Ruderboot auf dem Kanal wegfuhr und Valja und ich einen weiteren Tag unter der Eremitage verbringen mussten. Von Posnowa weiß ich, dass Lipman seinen Befehl von hochrangigen Regierungsbeamten bekam, und ich glaube ihr. Aber diese Spur soll ich dem Willen des Generals nach offensichtlich nicht verfolgen.
»Was hat Maxim unternommen, um die Bilder zu finden?«, frage ich Lipman.
»Nicht einmal Maxim konnte Felix sein Geheimnis entlocken.«
Am Ende kostete den Hausmeister sein Schweigen das Leben. Gott allein weiß, was es ihn in den Stunden vor seinem Tod kostete.
Der General macht eine Geste in Richtung Tür und führt mich aus dem Raum, obwohl es noch unzählige offene Fragen gibt und es fraglich ist, ob wir Lipman jemals wieder dazu bringen, so kooperativ zu sein. Kaum hat die Wache die Stahltür hinter uns zugeschlagen, dreh ich mich zu ihm um.
»Was sollte das alles?«
»Wir wissen jetzt, was wir wissen müssen.«
»Ich habe noch einige Fragen …«
»Deine Aufgabe ist es, Antworten zu finden, und nicht nach Dingen zu suchen, die nicht existieren. Geh und such die Bilder.«
»Behalten Sie ihn hier?«
Der General zieht einen Mantel über. Seine harten Züge scheinen wie aus den Steinwänden seines unterirdischen Hauptquartiers gehauen. »Wir werden sehen«, sagt er, als er an mir vorbei tritt.
Stunden später bin ich immer noch verärgert über den General. Ich laufe ziellos durch die Straßen und versuche, mir über seine Motive im Klaren zu werden, aber ich komme immer wieder nur auf das eine Thema zurück. Das Wichtigste - die erschütternde Möglichkeit, dass es zwei Da Vincis gibt, und dass einer davon ein Duplikat des bedeutendsten und am wenigsten verstandenen Kunstwerks aller Zeiten ist.
36
»Maxim wird merken, dass es eine Fälschung ist«, sage ich.
»Er wird es nicht überprüfen«, sagt der General zuversichtlich.
Wir sind wieder in seinem Raum mit den nassen Steinwänden, weniger als zwölf Stunden, nachdem wir Lipman in seiner Zelle verlassen haben, und begutachten den Ersatz-Schah-Diamanten des fettwangigen Mongolen, mit dem Vadim und ich uns getroffen hatten, als Valjas Fuß noch in Ordnung war. Hier im schummrigen Licht des unterirdischen Büros fällt es mir schwer zu glauben, dass er einer näheren Betrachtung standhalten soll.
»Warum soll er ihn nicht überprüfen wollen?«
»Weil es ihm egal ist. Und wenn er erstmal das
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