Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
Vom Netzwerk:
den Ärmeln des Mackintosh hervorlugten. »Trotzdem ist es natürlich bedauerlich, dass Genosse Larinin von zwei Lastwagen überrollt wurde.«
    »In der Tat.«
    Semjonow warf ihm einen forschenden Blick zu. »Aber besser er als wir, oder?«
    Erst jetzt fiel Koroljow eine Unsicherheit im Benehmen seines Kollegen auf, die für diesen völlig untypisch war. Ob der Jüngere wirklich völlig davon überzeugt war, dass es sich um einen Unfall handelte? Etwas in der Art, wie er mögliche Erklärungen aufzählte - Bremsen, Reifen -, bewegte ihn zu der Frage, ob Semjonow vielleicht beruhigende Worte von ihm erwartete. Nun, da konnte er lange warten. Ob sie nun im Schlamassel saßen oder nicht, sie mussten auf jeden Fall weiterschwimmen. Seufzend rieb er an seinem Kopfverband. »Obwohl sich mein Kopf anfühlt, als würde er nicht zu mir gehören, kann ich Ihnen nur beipflichten, Wanja. Noch am Leben zu sein ist gar nicht so schlecht. Was hat mir der General sonst noch zu sagen?«
    »Uns.« Semjonow wurde wieder ernst. »Wir sind von dem Fall abgezogen.«
    Er brauchte eine Weile, um die Nachricht zu verdauen, und Semjonows Blick machte ihm die Sache nicht eben leichter. Schließlich raffte er sich der Form halber zu einer Erwiderung auf. »Wurde er jemand anders übertragen?«
    »Paunitschew. Wir befassen uns ab Montag mit einer neuen Untersuchung. Wegen Ihrer Verletzung, meint der Chef. Er will nicht, dass die Ermittlungen vernachlässigt werden. Heute Vormittag hat er die Akte und alle Berichte bei mir abgeholt.«
    »Wer?« Koroljow hatte Mühe, sich auf Semjonows Äußerungen zu konzentrieren. An seiner Stirn pochte eine Ader. Er zwang sich zur Ruhe, obwohl er die Magensäure in der Speiseröhre spürte.
    »Na, Genosse Paunitschew. Auf Befehl des Chefs, Alexei Dimitrijewitsch. Da konnte ich nichts machen. Außerdem hat mich der General angewiesen, über die zweite Amerikanerin zu schweigen. Wenn sich aus der Vermisstenanfrage was ergibt, will er über das weitere Vorgehen entscheiden.«
    »Hatten Sie die Erlaubnis, Paunitschew etwas zu erzählen? Zum Beispiel, dass diese Smithson eine Nonne war? Oder etwas über die Informationen von Schwartz oder gar von Gregorin?«
    Semjonow schüttelte den Kopf.
    Koroljow klatschte die rechte Faust in die Hand. »Dann kommen sie ungeschoren davon. Hat Ihnen Popow wirklich befohlen, Paunitschew nicht einzuweihen? Was hat er gesagt? Der genaue Wortlaut bitte.«
    »Ab sofort gelten alle Informationen von Oberst Gregorin als Staatsgeheimnis. Und wir dürfen sie auf keinen Fall ohne ausdrückliche Erlaubnis weitergeben. Nicht nur Paunitschew darf nichts erfahren,
niemand
darf etwas erfahren.«
    »Und was ist mit den Auskünften von Schwartz?«
    »Das Gleiche. Wir sind den Fall los, Alexei Dimitrijewitsch. Ich dachte, Sie freuen sich.«
    Koroljow lehnte sich zurück und blickte hinauf zur Decke. In der Ecke war ein Spinnennetz. Mittendrin saß eine Spinne, die bestimmt herabspähte und dachte: Ich brauche nur ein größeres Netz, dann kriege ich ihn. Zu seiner eigenen Überraschung platzte ein lautes Lachen aus ihm heraus. »Sie haben Recht, wir können froh sein. Und Paunitschew findet sicher einen passenden Täter für den Mord in der Kirche. Es wird zwar nicht der Richtige sein, aber für die Statistik spielt das keine Rolle.«
    Semjonow starrte ihn an, als hätte er beim Ballett einen Furz gelassen.
    Koroljow legte die Finger an die Schläfe. »Entschuldigen Sie bitte, Wanja. Ich habe immer noch Schmerzen - für solche Nachrichten bin ich einfach in der falschen Verfassung.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen, Alexei Dimitrijewitsch. Deswegen sind Sie ein guter Kriminalbeamter - das sagen alle Ihre Kollegen. Weil Sie jeden Fall behandeln, als wäre das Opfer Ihre Mutter. Aber wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sie müssen Ihr Herz verschließen, Genosse.
    Gewöhnlichen Menschen wie uns sind die Wege der Partei nicht immer begreiflich, dennoch müssen sie befolgt werden.«
    »Stammt das von Stalin?«
    »Nein, Genosse, von Ihnen.«
    Koroljow lächelte freudlos. Der Fall gehörte der Vergangenheit an, mehr war dazu nicht mehr zu sagen. So tranken sie eine Tasse Tee, um die unangenehmen Eindrücke hinunterzuspülen, und sprachen von anderen Dingen. Semjonow war mit Freunden im Gorki-Park gewesen und hatte die Spitze des Fallschirmturms erklommen. Für einige Kopeken war ihm eine Ausrüstung umgebunden worden, und er war hinuntergesegelt wie ein richtiger Springer. Nur dass der

Weitere Kostenlose Bücher