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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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noch die Glücklichen. Sein Regiment war gerufen worden, um die Lücke zu stopfen, und die wenigen Preußen, die ihnen in die Hände fielen, fanden keine Gnade.
    Das Haus erzitterte, als ein Bombergeschwader vorbeidonnerte. Einen Moment lang wurde der Himmel über der Straße von einem Flugzeug verdeckt, das so tief flog, dass er die einzelnen Nieten an den Bombenklappen erkennen konnte. Im Fensterrahmen ratterte die Scheibe, und ein Hund brachte sich jaulend in Sicherheit. Die schiere Kraft der Maschine hob Koroljows Stimmung, während ihm gleichzeitig ein Schauer über den ganzen Körper lief. Diesmal waren sie auf alles gefasst, was die Faschisten zu bieten hatten.
    Nach einem tiefen Atemzug ging er zum Schreibtisch und stützte sich auf. Als er das Blut am Kragen seines Mantels bemerkte, kehrte schlagartig die Erinnerung an den Fall zurück, und ihm fiel etwas ein: Wenn die Verräter versuchten, die Ikone ins Ausland zu schaffen, war das vielleicht die Erklärung für Mironows Verwicklung in die Sache. Wer konnte sie besser außer Landes bringen als ein Major der Auslandsabteilung? Andererseits hatte er vielleicht verhindern wollen, dass die Ikone in den Westen geschmuggelt wurde. Er fluchte auf Gregorin. Wenn es um das Wohl der Allgemeinheit ging, nahm er gern in Kauf, dass man ihn in Sackgassen schickte und manipulierte wie einen Idioten, aber Koljas Enthüllung, dass Gregorin mit seinem Suchtrupp die Ikone entdeckt hatte, bestürzte ihn. Vielleicht benutzte ihn der Oberst nur, um die Ikone aufzuspüren, weil er selbst aus Inkompetenz oder Schlimmerem deren Verlust verschuldet hatte. Nun, wenn es so war, musste es früher oder später ans Licht kommen, und falls Koroljow dann noch am Leben war, würde er den Schweinehund ausfindig machen und ihm mit bloßen Händen das Herz aus der Brust reißen.
    Er war noch immer in die Betrachtung der betreffenden Hände versunken, als es klopfte und Semjonow eintrat.
    »Wie geht es Ihnen, Alexei Dimitrijewitsch? Der General sagt, Sie haben eine Gehirnerschütterung. Fühlen Sie sich wieder besser?« Sein Lächeln schien eher mokant als mitfühlend.
    Koroljow biss die Zähne zusammen. Was hatte er sich bloß gedacht bei diesem Kopfstoß gegen einen riesigen Kulaken? Eigentlich war er alt genug, um es besser zu wissen. Statt dem jungen Burschen ein Vorbild zu sein und ihn einzuweisen, zog er sich bei einem überflüssigen Zusammenstoß eine Kopfverletzung zu, die ihn außer Gefecht setzte. Es war blamabel. »Mir geht es gut«, knurrte er ungnädig. »Setzen Sie sich. Stehen Sie nicht rum wie ein Laternenpfahl, sondern erzählen Sie mir Ihre Neuigkeiten.«
    »Immer schön der Reihe nach. Also, zuerst soll ich General Popows Grüße an seinen fähigsten Stoßarbeiter ausrichten.«
    »Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Sie Rotznase. Mir platzt der Schädel, also sparen Sie sich Ihre Sticheleien lieber bis morgen auf, sonst vergesse ich mich.«
    Koroljow fragte sich, ob diesen jungen Burschen überhaupt noch etwas heilig war. Und diesen entsetzlichen Mackintosh hatte er auch wieder an. Wie ein Straßenschläger wirkte er darin, noch dazu mit dem glattpomadisierten Haar. Er hätte gut zu den Schwarzhändlern gepasst, die drüben am Kiewer Bahnhof gefälschte Zugfahrkarten verschacherten.
    Semjonow hob die Augenbraue. »Kommen Sie, Alexei Dimitrijewitsch, kein Selbstmitleid. Es hätte schlimmer kommen können - denken Sie bloß an Larinin. Ich hab den Ford gesehen, zwei Lastwagen sind einfach darübergerollt - er ist platt wie ein Pfannkuchen. Die Leiche musste Stück für Stück herausgeschnitten werden. Und der arme Pawel Timofejewitsch trauert um das Modell T wie um eine verlorene Tochter. Wenn Ihnen schon Genosse Larinin nicht leidtut, dann wenigstens Genosse Morosow. Der arme Larinin, auf der Höhe seiner Karriere als Kriminalermittler aus dem Leben gerissen, von seinen Kollegen beweint.«
    »Wirklich?« Koroljows Stimme verriet ungläubiges Staunen. »Beweint?«
    »Nicht direkt.« Semjonow gestattete sich ein leises Lächeln, ehe sein Gesicht wieder ernst wurde. »Ich persönlich bin ihm allerdings dankbar, dass er unseren Wagen genommen hat. Vielleicht waren die Bremsen kaputt, oder ein Reifen ist geplatzt. Auf jeden Fall hätten an seiner Stelle auch wir in den entgegenkommenden Verkehr geschleudert werden können. Insofern werde ich ihn also in guter Erinnerung behalten. Alles andere möchte ich nicht mehr aufwärmen.« Semjonow zupfte an seinen Hemdmanschetten, bis sie aus

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