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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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sich handelt.«
    Schwartz zögerte. Doch erneut wirkte er nicht überrascht, sondern nur leicht beunruhigt. »Ich dachte, Sie arbeiten nicht mehr an dem Fall?«
    »Fürs Erste ja, doch am Montag trete ich wahrscheinlich wieder meinen Dienst an.« Niemand konnte schließlich vorhersehen, was der Montag bringen würde. »Es dauert nur ein paar Minuten.«
    Kein Zweifel, Schwartz musste bereits gewusst haben, dass die tote Nonne nicht Nancy Dolan war. Aber wie konnte das sein? Koroljow durfte den Amerikaner nicht hart anfassen, weil er große Bedeutung für die Staatsfinanzen besaß. Trotzdem betrachtete er es als seine Pflicht, so viel wie nur möglich über die Ikone aus ihm herauszukitzeln. Das würde auch der General verstehen. Bestimmt.
    »Nun, warum nicht«, antwortete Schwartz, nachdem er sich die Sache gründlich überlegt hatte. »Vorausgesetzt, die alte Vereinbarung gilt auch weiterhin.«
    »Einverstanden.«
    Sie wandten sich zu Semjonow und Babel um, die grinsend zum Schwimmbecken starrten, aus dem sechzehn wasserglitschige Beine mit rot bemalten Zehennägeln hinauf zu dem riesigen Kronleuchter in der Mitte der Halle deuteten. Einen Moment lang wirkten die mysteriösen Gliedmaßen, als müssten sie an Fleischerhaken hängen.
    »Nach dem Spiel?«, fragte Schwartz.
    Babel schaute in ihre Richtung und zeigte lächelnd auf seine Uhr. Koroljow nickte dem Amerikaner zu. »Ja, das passt.«
    »Ich bin noch nie Straßenbahn gefahren«, bemerkte Schwartz, als sie zum Teatralnaja-Platz strebten. »Zumindest nicht in Moskau.«
    »Das wird vielleicht auch so bleiben.« Babel beobachtete eine vorüberziehende rot-weiße Tram, die aus allen Nähten platzte. An den Türgriffen hingen junge Männer, die Füße auf den Trittbrettern festgekeilt. Ihre Spartak-Schals schienen die riesigen roten Fahnen nachzuäffen, die zu beiden Seiten der Straßenbahn flatterten, als diese an der Haltestelle und den Wartenden vorbeibrauste.
    »Der Scheißkerl bremst nicht mal!«, schimpfte Semjonow. Aus der Menge drangen Flüche, und mancher schüttelte sogar die geballte Faust. Die Schaffnerin zuckte nur hilflos die Achseln.
    »Gehen wir lieber zu Fuß?« Schwartz schien nicht erpicht auf die Aussicht, sich von außen an die Tür einer rasenden Straßenbahn zu klammern. Andere machten sich auf die Suche nach alternativen Transportmitteln, und Koroljow wollte sich ihnen bereits anschließen, als sich die nächste Tram näherte. Auch sie war mit Flaggen und Spruchbändern geschmückt, die den bevorstehenden Jahrestag der Oktoberrevolution feierten. Doch im Gegensatz zur ersten bremste sie.
    »Immer schön der Reihe nach, Bürger.« Der Ruf des Schaffners verhallte ungehört im Ansturm der Menschen. Jeder musste zusehen, wo er blieb. Koroljow stürzte sich ins Getümmel, dicht gefolgt von Schwartz, der gelegentlich ebenfalls kräftig schob, und so schafften sie es gemeinsam bis in das stickige Abteil. Koroljow wurde gegen ein Fenster gepresst, direkt gegenüber von Semjonow, der an der anderen Seite der Scheibe klebte und sich mit weißen Knöcheln an einen Chromgriff klammerte.
    »Wanja will anscheinend die Aussicht genießen. Keine schlechte Idee.« Koroljow versuchte, sich von der Achselhöhle eines angetrunkenen Soldaten abzuwenden, der sich mit ausgestrecktem Arm an der Decke abstützte. Nachdem Babel sich zu ihnen durchgewunden hatte, setzte sich die Straßenbahn ächzend in Bewegung, und die Passagiere brachen in gut gelauntes Geplauder aus.
    Rumpelnd bewegten sie sich in Richtung Stadion, und die Leute jubelten, als es dem Fahrer beinahe gelang, einen grünen Brotkarren von den zwei davor gespannten müden Gäulen zu trennen. Wenn sie nicht sangen, diskutierten sie laut über die Qualitäten verschiedener Spieler. Es herrschte allgemeine Begeisterung, aber Koroljow wusste, dass die Stimmung ganz schnell umschlagen konnte, vor allem bei einem Endspiel, in dem der Meister der neu geschaffenen landesweiten Liga ermittelt wurde. Tatsächlich waren bei ihrer Ankunft schon kleinere Scharmützel zwischen den rivalisierenden Schlachtenbummlern in Gang. Die Spartak-Rufe »FLEISCH, FLEISCH, FLEISCH!« wurden von den Gegnern mit »ROTE ARMEE, ROTE ARMEE, ROTE ARMEE!« gekontert. Berittene Milizionäre patrouillierten das Gebiet und drängten sich bisweilen zwischen verfeindete Gruppen. Bei der ganzen Aufregung war das Verlassen der Tram fast genauso schwer wie das Einsteigen.
    »Warum rufen sie >Fleisch    »Der Geldgeber von

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