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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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Spartak ist die Promkooperatsija, die Gewerkschaft der Lebensmittelarbeiter. Die Anhänger schreien also: >Wer sind wir? Wir sind das Fleisch.< Wirklich toll.«
    »Aber manchmal werden sie von den Gegnern auch als >Schweine< bezeichnet«, fügte Babel hinzu.
    »Nur von unkultivierten Rabauken. Und wen unterstützen Sie heute, Isaak Emmanuilowitsch?«
    »Das Zentrale Haus der Roten Armee natürlich, für einen Exkavalleristen ist das Pflicht.«
    »Ich war auch Soldat, aber in Presnenski bin ich geboren.« Koroljow war ein wenig verschnupft.
    »Auch ein Schwein kann seinen Stall verlassen«, erwiderte Babel mit Unschuldsmiene.
    Noch bevor Koroljow es dem Autor mit gleicher Münze heimzahlen konnte, bemerkte er eine Gruppe entschlossen wirkender junger Männer, die sich vor dem Eingang zu einer Kette formierten. Jeder hielt sich mit einer Hand am Gürtel seines Vordermanns fest, und die beiden Kräftigsten übernahmen die Spitze.
    »Wir sollten lieber noch ein bisschen draußen warten, Jack.«
    »Ja«, pflichtete ihm Babel bei. »Der Zug fährt gleich ab.«
    Schwartz lächelte. »Sie wollen die Absperrung durchbrechen?«
    »Ja, das nennt man >Dampflok<. Ah, die Kartenabreißer haben sie entdeckt.«
    Doch den Kartenabreißern blieb keine Zeit mehr für wirksame Gegenmaßnahmen. Schlagend und tretend stürmte die Kolonne los und drängte alles beiseite, was sich ihr in den Weg stellte. Ein Unbeteiligter wurde sogar umgerissen. Die Kette blieb ungebrochen, bis zwei wütende Kartenabreißer und ein Milizionär den Letzten am Arm packten und ihn von seinen Kameraden losrissen. Aber dieser Sieg war nur von kurzer Dauer, da sich seine Gefährten als fester Keil zurück in die Schlacht stürzten und den Gefangenen befreiten. Nach dieser Aktion saß einer der Abreißer blutspuckend auf dem Boden. Die Menge draußen jubelte, und die jungen Männer rissen triumphierend die Arme hoch, ehe sie angesichts nahender Milizverstärkung den Rückzug antraten. Dann folgten weitere Freudenschreie, als eine Meute struppiger Straßenkinder auf die gleiche Stelle zuschoss und sich an den Beinen der abgelenkten Kartenabreißer vorbeiquetschte. Eine kleine Göre wurde an den Haaren gepackt und in hohem Bogen wieder nach draußen geschleudert. Mit einem Ächzen der Empörung setzte sich die Menge in Bewegung, den Blick auf den Übeltäter gerichtet, einen Milizionär mit dem Körperbau eines Ringers und einem Gesicht wie Kohlbrei.
    Koroljow fasste Schwartz am Arm. »Vielleicht probieren wir es an einem anderen Tor.«
    Im selben Augenblick krachte der erste Ziegel gegen den Metallzaun, und die Massen stürmten brüllend los. Das Letzte, was sie von dem Milizionär sahen, war sein angstverzerrtes Gesicht, unmittelbar bevor es zwischen Schirmmützen und fliegenden Fäusten verschwand. Seine Kollegen würden alle Hände voll zu tun haben, wenn sie verhindern wollten, dass der Trottel im Leichenschauhaus landete. Noch immer strömten Leute herbei, um sich an dem Gemetzel zu beteiligen.
    »Anscheinend mögen sie Kinder«, bemerkte Schwartz.
    »Vor allem mögen sie die Gelegenheit, einen Milizionär krankenhausreif zu schlagen«, erwiderte Babel.
    Koroljow konnte ihm nicht widersprechen. Wahrscheinlich waren sie direkt über das Mädchen getrampelt, um ihn zu erwischen. Er erinnerte sich an einen roten Haarschopf in der heranpreschenden Kinderschar und fragte sich, ob das vielleicht Kim Goldsteins Horde gewesen war, die den Eingang gestürmt hatte.
    Koroljow war erleichtert, als sie die relativ ruhige Südtribüne erreichten. Der General würde sich bestimmt nicht sehr erbaut zeigen, wenn Schwartz in einen Fußballkrawall geriet. Und Gregorin schon zweimal nicht. Sie setzten sich auf die Betonbänke und schauten den Spielern zu, die den Ball hin und her schoben und gelegentlich die Torhüter prüften. Auf einer Seite des Feldes war die Spartak-Mannschaft in roten Trikots mit einem breiten weißen Streifen um die Brust, während die Armeesportler gegenüber blaue Hemden und rote Hosen trugen. Die Armeespieler machten einen kräftigen Eindruck.
    »Die werden unseren Jungs ganz schön die Knochen polieren. Hoffentlich hat sich Alexei Starostin ein Extrapaar Socken angezogen.«
    Eine Bank weiter unten ging gerade ein Mann in mittleren Jahren vorbei und blickte auf. Mit einem erstaunten Gesichtsausdruck blieb er stehen. Er trug keine Farben, die gezeigt hätten, wem er die Daumen drückte.
    Verwirrt überlegte Koroljow, ob er ihn vielleicht gekränkt hatte.

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