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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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dann wäre alles gut gewesen, doch dann hat sich eine andere Gruppe gemeldet. Und als es danach aussah, als sollte die Ikone an den Höchstbietenden verschachert werden, hat der Major gehandelt.«
    »Er hat die Ikone aus dem Lager genommen?«, fragte Koroljow.
    »Ja.« Die Nonne bekreuzigte sich erneut.
    »Und Gregorin war von Anfang an der Verräter. Er hat mich zum Narren gehalten.«
    »Richtig.« Kolja verzog keine Miene. »Aber es sind mehrere, sie haben ganz Moskau in Angst und Schrecken versetzt. Glauben Sie mir, die drei Toten, von denen Sie wissen, sind nur ein Teil der Geschichte. Ich habe noch zwei andere Leute verloren.«
    »Aber Sie sagen, die Ikone sei in Sicherheit. Wie kann es dann sein, dass Gregorin Schwartz versprochen hat, sie ihm morgen zu zeigen?«
    »Wann hat er das gesagt?«
    »Vor ein paar Stunden, Schwartz hat sich nicht genau geäußert«, erwiderte Koroljow.
    Koljas Gesicht war einem Ausdruck von Beunruhigung so nahe, wie es bei einem Mann seines Schlages überhaupt möglich war. Langsam verarbeitete er das Gehörte und wechselte schließlich einen Blick mit der Nonne. Ehe er etwas erwidern konnte, klopfte es an der Eingangstür: zweimal schnell und nach einer Pause noch einmal. Kolja sprang auf, und seine Pistole richtete sich jetzt offen auf Koroljows Brust. »Wir müssen verschwinden, heilige Schwester.«
    »Wohin?« Koroljow erhob sich.
    »Tut mir leid, Hauptmann Koroljow. Sie können uns nicht begleiten.«
    Er hörte Schritte hinter sich und bemerkte, dass Kolja jemandem zunickte, der die Küche betreten hatte. Dann sah er nur noch, wie die Nonne erschrocken die Augen aufriss.
     

24
    Nach dem Erwachen nahm Koroljow zuerst das grelle Licht wahr - wie ein Gewicht drückte es durch die geschlossenen Augenlider auf ihn nieder. Um ihm auszuweichen, drehte er den Kopf zur Seite. Während er so dalag, spürte er die Kanten einer Ziegelmauer auf der Wange und fluchte auf den Schmerz, der seinen Schädel nach außen zu wölben schien.
    Er musste nicht einmal die Augen öffnen, um zu erkennen, wo er war. In Gefängnissen roch es immer ähnlich: eine Mischung aus Pisse, Schimmel, fauligem Kohl und dem Gestank ungewaschener, verängstigter Männer. Er wusste nicht, in welchem, aber dass er in einem war, stand fest. Als er vorsichtig schluckte, schmeckte er Blut, dann brach er beinahe Wimper für Wimper die Kruste über seinen Augen auf. Erneut fluchte er. Seine Zelle war klein - knapp drei Meter lang und eins zwanzig breit. An der hinteren Seite waren ein winziger Tisch und ein Hocker an den Boden geschraubt. In die glänzend glatte Oberfläche des hellblauen Wandanstrichs waren bis tief zu den Ziegeln Namen, Daten und Botschaften gegraben. Aber auch ohne sie zu lesen, war ihm sofort klar, wo er sich befand. Die kleinen, unter einer dicken Schmutzschicht kaum mehr sichtbaren Holzfliesen gaben ihm die Antwort. Vor der Revolution war die Lubjanka der Sitz einer Versicherungsgesellschaft gewesen, und es war allgemein bekannt, dass nur der Parkettboden überlebt hatte, als die Holztäfelung herausgerissen und durch Zellen und Verhörräume ersetzt wurde.
    Er hatte von Anfang an geahnt, dass er sich mit diesem Fall nur Scherereien einhandeln würde. Wütend und gequält stützte er sich auf dem dreckigen Boden ab und rollte sich zuerst auf die Schulter und dann auf den Rücken, um endlich den linken Arm freizubekommen. Der Arm war völlig taub, als würde er jemand anders gehören. Mühsam hob er die Hand und beugte die Finger. Anfangs hatte er keinerlei Empfindung, dann sagte ihm ein stechendes Kribbeln, dass das Blut zurückkehrte. Schließlich gelang es ihm, sich sitzend mit dem Rücken anzulehnen, doch er wurde mit Schwindel und Übelkeit für diese Kraftanstrengung belohnt. An der Wand befand sich eine hochgeklappte Bank, die lang genug zum Schlafen war, und dorthin wollte er. Aber ihm tat jeder Knochen im Leib weh und vor allem der Kopf, wo verschorftes Haar über einer dicken, pochenden Beule klebte. Irgendein Schwein hatte ihm wieder einen Schlag auf den Schädel verpasst, und er konnte sich nicht vorstellen, dass das besonders günstig für seine Gehirnerschütterung war. Sein Gürtel war verschwunden, ebenso wie der Wintermantel und die Filzstiefel. Hoffentlich hatte sich Kolja, dieser dreckige Halunke, nicht damit aus dem Staub gemacht. Dann musste er lächeln. Mit so einem zusammengeflickten, mottenzerfressen Lumpen würde sich Kolja bestimmt nicht aufhalten. Nie im Leben. Ein derart

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