Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
Vom Netzwerk:
heruntergekommenes Kleidungsstück trugen nur ehrliche Männer. Die Stiefel und der Mantel warteten garantiert auf ihn, wenn er heil aus dieser Sache herauskam. Und falls nicht, brauchte er sie sowieso nicht mehr.
    Die Metallplatte über dem Guckloch glitt zurück, und ein blassblaues Auge musterte ihn. Instinktiv hob Koroljow die Hand zum Gruß, aber da war das Loch schon wieder verschlossen. Er hörte, wie der Wärter mit klirrenden Schlüsseln durch den Korridor schritt und andere Platten öffnete. Nun, zumindest wussten sie, dass er wach war. Vielleicht passierte jetzt etwas. Ohne dass er es wollte, fielen ihm die Augen zu.
    Als er zum zweiten Mal wach wurde, hatte er schon genügend Kraft, um aufzustehen und die Holzbank herunterzuklappen, damit er sich hinsetzen konnte. Auf dem Tisch lag eine dünne Decke, die er vorher nicht bemerkt hatte. Diese schob er nun zwischen sich und die Wand, um sich anzulehnen. In der Ecke stand ein Eimer mit tief eingegrabenen Ringen aus Pisse und festeren Substanzen, über die er lieber nicht nachdenken wollte. Außerdem brauchte er ihn noch nicht. Er seufzte - nichts weniger als die Lubjanka. Nicht die Butyrka und nicht die Nowinskaja. Auch nicht Lefortowo oder ein anderes Moskauer Gefängnis. Die Lubjanka. Hierher wurden nur hohe Parteifunktionäre oder Ausländer verfrachtet. Sinowjew. Kamenjew. Der Mörder des armen Kirow. Britische Spione. Was hatte ein halbtoter Milizhauptmann zwischen all diesen hochkarätigen Verrätern zu suchen? Wahrscheinlich sollte er sich geehrt fühlen. Er lächelte mit einer Art Galgenhumor.
    Was zum Teufel war eigentlich in dem Haus im Arbat passiert? Einer von Koljas Männern hatte ihn von hinten niedergeschlagen, das war nicht schwer zu erraten, aber der Graf konnte doch nicht dafür verantwortlich sein, dass er jetzt hier war. Koljas einzige Verbindung zu den Organen war von einer Art, die ihn selbst ins Gefängnis gebracht hätte. Nein, es gab nur eine Erklärung: Koljas Kumpane hatten ihn bewusstlos in dem Haus zurückgelassen. Dort hatte man ihn entdeckt und dann hierhergeschleppt. Und das wäre nicht geschehen, wenn es sich um Milizionäre oder normale Tschekisten gehandelt hätte. Sie hätten ihm Fragen gestellt, und selbst dann wäre er nicht in der Lubjanka gelandet. Nein, dahinter musste Gregorin stecken. Wenigstens hatten sie ihn noch nicht erschossen.
    Scharrend öffnete sich die Metallklappe, und abermals starrte ihn das blaue Auge an. Koroljow erwiderte den Blick, aber das Auge blieb ausdruckslos. Dann wurde die Platte wieder zurückgeschoben, und die Schlüssel entfernten sich auf dem Korridor. Langsam rappelte sich Koroljow auf und stützte sich mit den Händen an der Wand gegenüber ab. »Verzeih mir, meine liebe Frau«, hatte ein armer Hund auf die bemalten Ziegel gekritzelt. Er dachte an Schenja und den Jungen in Sagorsk. Vielleicht konnte sich Jasimow um sie kümmern. Wahrscheinlich nicht. Juri würde natürlich leiden. Einen Volksfeind zum Vater zu haben war eine schwere Bürde, und da spielte es keine Rolle, dass er den Kleinen schon seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Doch dann fiel ihm ein, dass es keinen offiziellen Prozess geben würde, wenn er tatsächlich von Gregorin gefunden worden war. Dass er überhaupt noch am Leben war und hier saß, musste einen Grund haben. Wahrscheinlich wollte der Oberst erfahren, was Koroljow wusste. Auf jeden Fall wusste er zu viel, um hier lebend herauszukommen. Kalter Schweiß lief ihm über den Rücken. Deswegen hatten sie ihn in die Lubjanka geschafft. Sie wollten ihm Informationen abpressen und ihn dann beseitigen.
    Wie aufs Stichwort näherten sich Schritte mit rhythmischem Schlüsselscheppern, und die Tür öffnete sich kreischend. Drei Aufseher standen da, zwei von ihnen junge Kerle mit kräftigen Schultern und breitem Gesicht, aber mit Augen, die Koroljow an tote Fische erinnerten. Die Zwillinge betraten die Zelle und zogen Koroljow auf die Füße. Der dritte war größer und älter, sein kahlgeschorener Schädel schimmerte grau und hatte weiche Fettwülste, die die Ohren hinausschoben wie Pokalhenkel. In seinen Augen lag wenigstens ein Ausdruck, auch wenn es Verachtung war.
    Nach einem kurzen Blick in einen Ordner fixierte der Glatzkopf Koroljow. »Gefangener, du sprichst nur, wenn du gefragt wirst, und auch in diesem Fall hast du dich einer knappen, sachdienlichen Ausdrucksweise zu befleißigen. Am besten sagst du nur Ja oder Nein. Jede andere Äußerung wird als

Weitere Kostenlose Bücher