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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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Mischka dem Blick stand, dann setzte er ein träges Lächeln auf und deutete mit einem blau tätowierten Daumen auf das Haus mit den zwei Bäumen im Garten. »Ich nehme an, Sie wollen da rein?«
    »Vielleicht. Wollt ihr mich aufhalten?«
    »Warum sollten wir? Wir leben doch in einem freien Land. In einer sozialistischen Demokratie, wie es so schön heißt. Sie können natürlich tun und lassen, wozu Sie Lust haben. Von uns wird Sie keiner daran hindern. Das wäre unkultiviert. Außerdem haben Sie eine Verabredung.«
    »Verstehe.« Koroljow steuerte auf das Haus zu, das aus groben, rohen Holzstämmen errichtet war. Er fragte sich, wie die Banditen von seinem Kommen erfahren hatten. Während er sich von den Kerlen entfernte, spürte er jeden Stofffaden auf seinem Rücken, aber um keinen Preis wollte er ihnen die Genugtuung bieten, dass er über die Schulter spähte.
    Die Eingangstür war alt und aus Holz wie das Haus, aber sie wirkte durchaus stabil. Erst nachdem er dreimal geklopft hatte, gestattete er es sich, sich nach Mischka und seinen Schlägern umzuschauen. Sie beobachteten ihn, und Mischka hob grüßend die Hand. Mit hartem Gesicht wandte sich Koroljow wieder der Tür zu, da er Schritte hörte.
    »Hallo?«, fragte eine Frauenstimme, die schon etwas älter klang und etwas Vornehmes hatte. »Hauptmann Koroljow von der Moskauer Kriminalmiliz. Bitte öffnen Sie, Bürgerin.« Schweigen.
    Koroljow musterte die Angeln und überlegte, ob er sich gewaltsam Zutritt verschaffen konnte. Eher unwahrscheinlich. Außerdem würde ein derartiger Versuch seinen Füßen bestimmt nicht bekommen, da er noch immer diese verdammten Filzstiefel trug. »Bürgerin?«
    »Ja«, erwiderte die Frau ohne jede Angst.
    »Ich möchte nicht die Tür eintreten müssen.«
    »Ich möchte auch nicht, dass Sie das müssen.«
    Er zwang sich zur Höflichkeit. »Dann haben Sie vielleicht die Freundlichkeit, sie zu öffnen.«
    »Was wünschen Sie?«
    »Ich möchte mit der heiligen Schwester sprechen, mehr nicht. Ich bin allein und werde auch allein wieder gehen. Ich will nur reden.«
    »Nur reden?«
    »Genau. Und es ist wichtig.«
    »Ich frage nach. Koroljow, sagen Sie.« Schritte entfernten sich, dann folgte Gemurmel, und die Schritte kehrten zurück. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und die Tür ging auf. Eine dünne, ungefähr sechzigjährige Frau stand vor ihm. Sie machte einen gelassenen Eindruck, hatte aber kein Lächeln für ihn übrig. »Hier entlang, Hauptmann Koroljow.« Sie deutete auf den gelben Lichtschein einer Glühbirne, der die Tür am Ende des Flurs erfüllte.
    In der Küche saß eine Frau am Tisch, die ihn mit müder Neugier musterte. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trog, handelte es sich um Nancy Dolan, die zweite amerikanische Nonne. Sie wirkte älter als auf dem Passbild und hatte die fröhliche Ausstrahlung verloren, die er auf der Fotografie entdeckt zu haben glaubte. Eine Woche in Moskau konnte einem schon gewaltig zusetzen. Hinter ihr lehnte niemand anders an der Wand als Graf Kolja.
    Kolja begrüßte ihn mit einem Nicken, aber seine linke Hand war in der Tasche verborgen. »Guten Tag, Hauptmann Koroljow. Nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie ein Glas Tee? Oder etwas anderes vielleicht?« Kolja deutete auf den Samowar auf dem Tisch, aus dessen Schnabel ein dünner Dampfstreifen aufstieg.
    »Gerne ein Glas Tee, warum nicht.« Koroljow gab sich keinen Illusionen darüber hin, was der Graf in seiner Tasche hatte. »Erlauben Sie, dass ich mich setze, Schwester?«
    »Bitte«, erwiderte Dolan. »Pelagia Michailowna, könnten Sie die Straße im Auge behalten?« Ihr Russisch war perfekt, aber sie hatte die Aussprache älterer Menschen. Das moderne Russisch war pragmatischer, umgänglicher. Einen Akzent wie den ihren versuchten die Leute im Allgemeinen zu kaschieren.
    »Sie weiß nichts von der ganzen Sache«, bemerkte Dolan, als sich die Tür hinter der Frau geschlossen hatte.
    »Natürlich.« Koroljow fragte sich, für wie naiv ihn diese Amerikanerin eigentlich hielt. »Ich habe es nicht auf alte Damen abgesehen, Bürgerin Dohna. Und auch nicht auf Sie.« Koroljow betonte das Wort »Bürgerin«.
    Die Nonne öffnete den Mund zu einer Erwiderung, blieb aber stumm. Sicher war ihr inzwischen klargeworden, dass sie weit von Amerika entfernt war.
    »Ich war heute mit Jack Schwartz zusammen«, fuhr Koroljow fort. »Ich glaube, Sie sind ihm im Zug aus Berlin begegnet.«
    »Im Zug aus Berlin?« Dolan schien mit dem Gedanken zu spielen,

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