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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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was zum Verkauf stand. Vor dem Praga wartete eine lange Schlange Jugendlicher auf die nächste Vorstellung. Die Jungen zitterten in ihren Mackintosh-Mänteln und wadenlangen Hosen, und die Mädchen trotzten mit bloßen roten Knien der Kälte. Im blauen Neonlicht des Praga wirkten sie dünn und ausgehungert.
    Koroljow lehnte sich an die kunstvoll verzierte Gusseisenlaterne auf der anderen Straßenseite und widersetzte sich dem Drang nach einer Zigarette. Die Hände tief in den Taschen vergraben, betrachtete er das Filmplakat:
Wir sind aus Kronstadt.
Drei tapfere Matrosen stellten sich einer Reihe von Bajonetten entgegen, die Brust trotzig erhoben. Es sah nicht gut aus für sie, und die mit Schnüren um ihren Hals gebundenen Steine ließen darauf schließen, dass es noch übler werden konnte. Schließlich gab er seinem Verlangen nach und kramte die Packung Belomorkanal heraus, in der nur noch eine Zigarette war. Nachdem er sie angezündet hatte, ging er zum Kiosk, um sich eine neue Schachtel zu kaufen. Als er den Blick senkte, bemerkte er ein ungefähr siebenjähriges, hübsches Mädchen mit einer Schleife im Haar, das überhaupt nicht nach einem Mitglied der Rasin-Straßen-Bande aussah.
    Lächelnd zupfte sie ihn am Mantel. »Nimm meine Hand.«
    Er streckte den Arm nach unten und spürte ihre warmen kleinen Finger in seinen, als sie ihn vom Kino wegführte. Sie flanierten auf der Arbat-Straße dahin wie Vater und Tochter beim Freitagsspaziergang. Sie waren nicht die Einzigen, und nicht zum ersten Mal musste er Kim Goldstein für seine Gerissenheit bewundern. Wenn er die nächsten Jahre überlebte, stand ihm eine erfolgreiche Karriere als Krimineller bevor. Das Mädchen blieb neben einem schmalen Torbogen stehen, der auf einen kleinen Platz führte. In einiger Entfernung erkannte er bereits Goldsteins Rotschopf. Das kleine Mädchen wandte sich ab und hüpfte davon.
    »Sie werden von einem Mann verfolgt«, sagte Goldstein, als Koroljow näher kam.
    »Schütteres Haar, kleiner Schnurrbart, schwerer schwarzer Mantel?«
    »Genau.«
    »Der zählt nicht.«
    Trotzdem huschte Goldsteins Blick zurück zu dem Durchgang, den Koroljow passiert hatte. »Sind Sie sicher? Genosse Hauptmann, das verrate ich Ihnen jetzt ganz umsonst, in der Gegend treiben sich heute Abend eine Menge Blaufinger rum.«
    »Banditen?«
    »Auf jeden Fall keine Pioniere. Gehen Sie die erste Straße rechts rein. Dort ist ein großes weißes Wohngebäude mit grüner Tür und daneben ein kleineres Haus mit zwei Bäumen im Vorgarten. Dort ist sie drin, im Erdgeschoss. Aber davor lungern ein paar wirklich schwere Jungs rum. Also Vorsicht.«
    Koroljow zog zehn Rubel aus der Tasche. Mehr als abgemacht, aber wenn die Sache schlecht endete, brauchte er das Geld sowieso nicht mehr. »Danke. Und keine Sorge, ich pass schon auf mich auf.«
    Ohne Überraschung nahm Goldstein das Geld in Empfang. »Ich denke nur an unsere zukünftige Geschäftsbeziehung, das ist alles.«
    »Ich werde zusehen, dass wir sie aufrechterhalten können.«
    »Dann bin ich zufrieden.« Goldstein winkte zum Abschied mit den Scheinen und wandte sich mit ernster Miene ab. Im Schatten entstand Bewegung, und der Rest der Band scharte sich um ihn, ehe sie sich zielstrebig entfernten. Koroljow war beruhigt: Goldstein hatte bestimmt einen Plan für den Winter. Sie würden bis zum Frühjahr überleben, die meisten wenigstens.
    Als Koroljow um die Ecke bog, bemerkte er drei dubiose Burschen, die sich um eine Öltonne drängten und die Hände an etwas Brennendem wärmten. Ihre Gesichter schimmerten rot über den Flammen, und in ihren Augen schwelte es schwarz, als sie zu ihm aufblickten. Koroljow erkannte Mischka.
    Das schmallippige Grinsen des Galgenvogels saß wie eine dunkle Sichel in seinem Gesicht. »Was für ein Zufall, Muchachos, hier kommt der Genosse Hauptmann angeschlendert. Und was führt Sie in diese Breiten, alter Freund? Aber eigentlich wissen wir es ja sowieso schon.«
    »Ich mache nur einen kleinen Spaziergang, wie ihr auch, oder?« Koroljow trat näher und klopfte sich auf die Tasche mit der Walther, als er bemerkte, dass die anderen zwei Banditen langsam zur Seite wichen. »Bleibt schön vor mir, wo ich euch sehen kann, Jungs. Schließlich sind wir doch alle gute Freunde, oder, Mischka?«
    Mischka nickte. »Also.« Er ließ die Hand in die Manteltasche gleiten.
    »Also, genau.« Koroljow wartete. Seine Augen brannten, weil er jedes Blinzeln vermeiden wollte.
    Mit seinen toten Augen hielt

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