Russisches Requiem
sind wir weltweit führend - wirklich eine überaus nützliche Sache. Schon bald wird jeder Haushalt eine Leninlampe haben, und man muss nur den Schalter umlegen, um die Bauern mit vierhundert Watt zu blenden. Das weißt du bestimmt schon aus der Zeitung.« Er überlegte kurz, wie wahrscheinlich es war, dass Tesak lesen konnte. »Oder auch nicht.«
Er nahm den Stab und zeigte ihn Tesak.
» Wie auch immer, jeder Sowjetbürger sollte die Realität der Elektrizität erleben dürfen. Theorie ist schön und gut, aber was zählt, ist die praktische Anwendung.«
Dann schloss er den Stab an die Batterie an und nahm verblüfft zur Kenntnis, wie laut der Bandit trotz des Knebels wurde. Offenbar war ihm Elektrizität also doch nicht ganz fremd.
Nachdem er mehrere Minuten gearbeitet hatte, entfernte er den Knebel, und der winselnde Bandit fing wie erwartet an, um sein Leben zu feilschen.
» Was hast du mir zu bieten? Geld? Dein Geld brauche ich nicht. Liebe? Kein Bedarf. Was hast du für mich? Komm schon, Tesak, du weißt genau, was ich will. Wo haben sie sie versteckt?«
»Keine Ahnung. Das weiß nur Graf Kolja. An ihn müsst ihr euch wenden. Mir war ja nicht mal klar, dass sie echt ist. Ich dachte, es ist eine Kopie, glaub mir, Genosse.«
»Der Fuchs ist kein Genosse der Gans, Tesak. Nenn mich Bürger.«
Der Bandit wurde nur noch von seinen Fesseln gehalten, und die blutigen Überreste seiner Kleider bauschten sich um Schultern und Knöchel. Er schien bereit. Noch ein letzter Anstoß vielleicht. Fast beschlich ihn etwas wie Mitgefühl, doch dann verschluss er sein Herz. Er steckte den Knebel zurück und machte sich wieder ans Werk.
7
Wie immer erwachte Koroljow um fünf Uhr. Manchmal wünschte er sich, noch einige Minuten länger schlafen zu können, aber er hatte es bei seiner Mutter, der Armee des Zaren und zuletzt in der Roten Armee so gelernt und daher gar keine andere Wahl. »Gott gibt denen, die früh aufstehen«, so hatte ein Lieblingssprichwort seiner Mutter geheißen. Doch an diesem Morgen gönnte er sich noch einige Momente, um das neue Zimmer zu genießen.
Im blassen Licht der Straßenlaterne war undeutlich das Blumenmuster des Deckenfrieses zu erkennen, und ihn überkam eine durchaus unsowjetische, kleinbürgerliche und besitzergreifende Freude über die Schönheit der Stuckarbeit. Wer aus seiner Bekanntschaft hatte eine Deckenrose mit Trauben, Blumen und sogar Äpfeln aus Gips? Niemand. Wahrscheinlich nicht einmal der General. Und auch der Luftzug vom Fenster, der ihn in die Nase biss, vermochte ihm die Behaglichkeit des neuen Betts und die Wärme der von Kolzowa geborgten Steppdecke nicht zu verleiden. Wirklich eine sonderbare Frau. Erst zielte sie mit einer Waffe auf sein Herz, dann überschüttete sie ihn mit ihrem Bettzeug. Nicht aus Moskau natürlich. Aus Odessa. Und es war ja allgemein bekannt, dass die Leute dort anders waren. Sie waren weder Ukrainer noch Russen. Ein ganz eigener Menschenschlag.
Während er so dalag, ging ihm durch den Kopf, wie wechselhaft das Leben war und dass es sich in diesem Augenblick und an diesem Ort plötzlich von seiner angenehmsten Seite zeigte. Nur widerstrebend erinnerte er sich an die anstehende Vorlesung. Es konnte bestimmt nicht schaden, wenn er sich wenigstens ein paar Notizen machte.
Er ließ die Beine auf den Boden sinken und stellte fest, dass die Dielen kalt waren. Rasch trat er ans Fenster. Über Nacht war Schnee gefallen und türmte sich jetzt schräg an der Mauer auf der anderen Seite. Einsame Fußabdrücke bezeichneten die Straßenmitte. Der Winter war früh gekommen in diesem Jahr. Schon am Vortag hatte er sich bei Einbruch der Dunkelheit mit dem eisig durch die Straßen fauchenden Wind angekündigt. Er persönlich begrüßte ihn als alten Freund; der erste Schnee war ihm stets willkommen. Die Winter waren natürlich hart, aber der Schnee verdeckte die Unvollkommenheiten der Stadt und erzeugte nachts wenigstens den Anschein von Ruhe. Moskau war im Winter eine atemberaubend schöne Stadt, in der es nur aus dem eigenen Mantel roch. Der Gestank in der heißen Jahreszeit würde ihm bestimmt nicht fehlen. Die Ausdünstungen der Menschen im Sommer! Hoffentlich wurde bald die Produktion von Seife angekurbelt.
Nachdem er sich am Schnee sattgesehen hatte, wandte er sich vom Fenster ab und kniete sich neben das Bett, um sich nach orthodoxer Manier zu bekreuzigen und mit zum Himmel erhobenem Blick dem Herrn dafür zu danken, dass er ihn diesen herrlichen
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