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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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können, was wir seit 1917 erreicht haben. Im Ausland Geld zu leihen ist natürlich schwierig - warum sollten Kapitalisten eine Revolution mit Krediten stützen, die das Ende des Kapitalismus anstrebt? Daher müssen wir die benötigten Devisen auf andere Weise verdienen. Wir hungern, damit wir unseren Weizen an den Meistbietenden verkaufen können. Aber dies ist nur eine vorübergehende Notwendigkeit. Wie Genosse Stalin immer sagt, es wird allmählich besser. Wir sind über den Berg.«
    »Ja, ich muss oft an seine Worte denken«, warf Koroljow ein.
    »Nun, eine Methode zur Beschaffung von Mitteln ist der Verkauf von beschlagnahmten Gütern, wie etwa Kunstwerken, Schmuck, kostbaren Büchern und anderen Wertgegenständen. Dieser Verkauf wird vom Ministerium für Staatssicherheit abgewickelt, genauer gesagt dem NKWD. In jüngster Zeit ist uns jedoch in diesem Zusammenhang ein gewisser Schwund aufgefallen; Artikel, die eigentlich noch hier in Moskau hätten sein müssen, sind plötzlich in Europa oder Amerika aufgetaucht. Wir kennen einige der Beteiligten, und auch Ihr Opfer war möglicherweise in diese Verschwörung verwickelt. Ihrer Personenbeschreibung zufolge bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass es so ist.«
    Koroljow ließ sich diese Informationen kurz durch den Kopf gehen und zog seine Schlüsse. »Aber das heißt doch ...« Er verstummte mitten im Satz.
    Ruhig atmete Gregorin Rauch aus. »Natürlich untersuchen wir die Sache. In jeder Familie gibt es ein schwarzes Schaf, auch bei der Staatssicherheit. Es wird zu Verhaftungen kommen. Aber hier handelt es sich um Mord, und das ist eine interessante Entwicklung. Es riecht nach Verzweiflung.«
    »Wissen Sie, wer das Opfer war?«
    »Sie könnte eine von zwei möglichen Kandidatinnen sein. Mit ein wenig Glück kann ich Ihnen schon morgen Genaueres mitteilen. Wenn Sie Fotografien der Toten haben, würde uns das weiterbringen.«
    »Und warum sind Sie so sicher, dass es eine von den beiden ist?«
    Nach einem Blick auf die Uhr schüttelte Gregorin den Kopf. »Fast schon zehn. Ich fahre Sie jetzt besser nach Hause. Morgen liegt ein anstrengender Tag vor Ihnen.«
    Er schaltete die Zündung ein, und der Motor sprang sofort an. Koroljow war beeindruckt - eigentlich hatte er gehört, dass der Anlasser des Emka unzuverlässig war.
    »Ein guter Wagen, sehen Sie? Eine weitere große Leistung des Sowjetstaates. Wir mussten unsere eigenen Automobile herstellen, also haben wir uns an diese Aufgabe gemacht. Wir haben Finanzen, Arbeitskraft und Fachwissen aufgeboten und das Ziel erreicht. Das ist der bolschewistische Geist.«
    Gregorin konzentrierte sich darauf, auf der Dserschinski-Straße einen langsam dahinrollenden Konvoi von Militärlastwagen mit flatternden Seitenplanen zu überholen.
    »Und das erwarten wir auch von Ihnen. Bieten Sie all Ihre Kräfte und Fähigkeiten auf, um den Mörder zu fassen. Gehen Sie jeder Spur nach, befragen Sie jeden Verdächtigen, lassen Sie nichts unversucht. Und behandeln Sie die Angelegenheit wie einen gewöhnlichen Kriminalfall. Die Verräter wissen nichts von unserer Untersuchung, aber jede weitere Maßnahme von unserer Seite könnte sie aufschrecken. Verstanden? Es ist möglich, dass es sich um die Tat eines Wahnsinnigen handelt, doch wahrscheinlich ist es das Werk von Saboteuren, die dieses Gemetzel nur angerichtet haben, um eine falsche Fährte zu legen. Je energischer Sie die Ermittlungen vorantreiben, desto mehr dürfen wir hoffen, dass unsere eigene Untersuchung geheim bleibt.«
    Koroljow war ein wenig gekränkt. »Ich biete für jede Ermittlung all meine Fähigkeiten auf.«
    Keine fünf Minuten später bremste Gregorin vor der Bolschoi-Nikolo-Worobinski-Gasse vier und stellte den Motor ab. Noch einmal wandte er sich an Koroljow. »Bringen Sie morgen bitte die Fotografien von der Autopsie mit, damit ich Ihnen bei der Identifizierung helfen kann.«
    »Ich hätte noch einige Fragen.«
    Gregorin schüttelte den Kopf. »Morgen vielleicht. Schlafen Sie gut, Genosse.«
    Die Augen des Obersts waren vom Schatten verhüllt, aber Koroljow konnte sich nicht vorstellen, dass etwas anderes darin lag als Kälte. Er stieg aus und schaute dem davonbrausenden Wagen nach, in dem Bewusstsein, hinter verschlossenen Vorhängen beobachtet zu werden. Niemand war darauf erpicht, dass so spät am Abend vor dem eigenen Haus ein Wagen hielt, der unschwer als Eigentum der Staatssicherheit zu erkennen war, auch wenn er diesmal nur einen Bewohner abgesetzt hatte, statt

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