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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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mich vorstellen: Hauptmann Alexei Koroljow von der Moskauer Kriminalmiliz.«
    »Ja, das kann ich mir denken.« Herablassung lag in der Stimme der Alten. »Maria Lobkowskaja. Noch wohne ich unter Ihnen, aber wenn Sie Ihre Übungen noch öfter verrichten, brechen Sie wahrscheinlich durch die Decke und leben dann auch im Erdgeschoss.« Sie fixierte ihn scharf. »Sie machen einen ehrlichen Eindruck und sehen auch nicht schlecht aus. Warum sind Sie nicht verheiratet?«
    »Ich war verheiratet, Bürgerin Lobkowskaja. Aber wir haben uns getrennt.«
    »Zu meiner Zeit war das noch anders, da hat man fürs ganze Leben geheiratet. Heute unterschreibt man ein Formular, und alles ist vorbei. Aber Sie müssen los. Die Arbeit wartet. All diese Vandalen auf den Straßen, und Sie stehen hier herum und unterhalten sich mit einer alten Schachtel.«
    Draußen umwehte ihn frische Morgenluft, und sein Atem dampfte so dicht wie Zigarettenrauch. Die Temperatur machte ihn wach und munter. Er war froh, dass ihn sein dicker Mantel vor der Kälte schützte und seine Füße in den warmen Walenki steckten. Vor allem aber freute ihn, dass er die Straße ganz für sich hatte. Er hörte nichts außer dem leisen Knirschen des Schnees unter seinen Sohlen und gelegentlich die Stimme eines Frühaufstehers aus einem offenen Hof. Er merkte, dass er die Melodie von »Marsch der fröhlichen Jugend« summte, und bald ging das Summen in leises Singen über.
    Wie Kinder können wir lachen und singen
    Inmitten Arbeit und widriger Zeit.
    Niemand und nichts kann uns je niederringen.
    Wir singen mutig im Chor: Seid bereit!
    Seine Beine bewegten sich im Rhythmus. Er warf einen Blick auf die Uhr, weil er noch den Bericht für Gregorin in der Petrowka-Straße abholen musste. Da er aber noch reichlich Zeit hatte, schlug er den Weg am Kreml vorbei ein, um ihn im ersten Schneemantel seit dem Frühjahr zu sehen.
    Letztlich verlief die Vorlesung reibungslos. Oberst Gregorin holte ihn in der erstaunlich schlichten Eingangshalle der NKWD-Schule ab. Außer einem Metalltisch gab es keine Möbel, und Gemälde von Dserschinski und Stalin bildeten neben der vorgeschriebenen roten Fahne die einzige Dekoration. Einer der beiden bulligen Wachmänner hatte ihn mit einem prüfenden und nicht unbedingt freundlichen Blick bedacht, und so war er froh, dass Gregorin nicht lange auf sich warten ließ. Er folgte dem Oberst durch große Schwenktüren aus Holz in einen breiten Korridor, den revolutionäre Parolen auf schwarzen Spruchbändern säumten: »Überholt den Westen!«, »Schützt euch gegen den Feind von innen!« und »Frauen nach vorn!«. Allerdings fiel ihm auf, dass unter den Studenten, die zielsicher, aber ohne große Eile zwischen den Räumen hin und her strömten, nur wenige dem weiblichen Geschlecht angehörten.
    Der Vorlesungssaal mit seiner hohen Decke verwirrte ihn ein wenig. Er musste sich nach hinten lehnen, um die Studenten auf der höchsten Ebene der hölzernen Halbkreise zu erkennen, die fast bis zu den Lampen hinaufreichten. An jedem Platz ein junges Gesicht, frisch und ernst über einer makellosen Kadettenuniform. Gregorin winkte ihn an ein Holzpult, und nach einem kurzen Moment, in dem er seine Notizen aufschlug und der Oberst ihm noch einmal zunickte, begann er seinen Vortrag.
    Er fing langsam an, vielleicht weil auf einem Spruchband stand: »Bleibt immer wachsam. Die Feinde lauern überall!« Zunächst fühlte er sich persönlich gemeint, doch dann fasste er sich allmählich und präsentierte in ruhigem Tempo seine Vorlesung. Bald waren nur noch die kritzelnden Stifte der Studenten zu hören, und er legte Pausen ein, damit sie alles mitschreiben konnten. Bei diesen Unterbrechungen hatte er Gelegenheit, seine Zuhörer in Augenschein zu nehmen. Ihre Konzentration erinnerte ihn an die Wölfe, die seine Kolonne bei dem langen Rückzug im Winter 1919 verfolgt hatten. Es war kein angenehmes Gefühl. Manche Erinnerungen hätte er am liebsten für immer hinter sich gelassen wie die Leichen, die jeden Kilometer dieses furchtbaren Marsches markiert hatten.
    Anschließend dankte ihm Gregorin im Namen der Studenten und Studentinnen, deren Beifall aufrichtig klang. Vielleicht hatte er sich die Raubtieraugen doch nur eingebildet.
    »Ein eifriger Nachwuchs, finden Sie nicht? Genosse Jeschow will ihre Ausbildung halbieren; er sagt, sie können auch im aktiven Dienst lernen. Jeden Tag entdecken wir eine neue Verschwörung, und er möchte, dass wir hart zurückschlagen.« Gregorin

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