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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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Rest durch die Nase ausstieß. »Es gibt eine bestimmte Ikone, die vor zwei Wochen aus einem Lagerraum der Lubjanka verschwunden ist. Möglicherweise besteht da ein Zusammenhang.« Er schien seine Worte sorgfältig abzuwägen.
    »Aus der Lubjanka, o Gott.« Das letzte Wort war Koroljow herausgerutscht, bevor er überlegen konnte.
    Gregorin lachte nur. »Nein, ich glaube, der war's nicht, der hat dort keinen Zutritt. Andere dagegen schon.«
    »Und es gibt eine Verbindung? Zwischen den Morden und der verschwundenen Ikone?« Koroljow wunderte sich, wie ruhig seine Stimme klang, obwohl ihm am ganzen Körper eisiger Schweiß ausgebrochen war. Im Beisein eines hochrangigen Tschekisten den Namen Gottes zu nennen! Er spürte, wie sich seine Zehen verkrampften.
    »Wenn Nancy Dolan Schwartz in New York die Tür geöffnet hat, können wir davon ausgehen, dass sie von der Ikone weiß und dass ihr Aufenthalt hier damit zu tun hat. Und Ihre tote Nonne wahrscheinlich auch.« Gregorin sprach mit Bedacht. »Genauso wie der Bandit - immerhin wurde er anscheinend auf die gleiche Weise gefoltert.«
    »Was ist das für eine Ikone, dass Menschen wegen ihr sterben müssen?«
    Nach längerem Schweigen schüttelte Gregorin den Kopf. »Tut mir leid, Genosse. Das ist eine Information, die Sie zu diesem Zeitpunkt nicht benötigen. Sie müssen sich jetzt darauf konzentrieren, diesen Tesak zu identifizieren und dann mögliche Komplizen aufzuspüren. Wenn Sie dabei auch Nancy Dolan finden, umso besser. Aber die Ikone überlassen Sie bitte uns.«
    »Ich verstehe.« Koroljow verstand nur so viel, dass er besser den Mund hielt.
    Gregorin beugte sich vor, um ihm die Tür zu öffnen. »Sie werden erwartet.«
    »Wie bitte?«
    »Der Schriftsteller Babel, Ihr Nachbar. Er hat gute Verbindungen zu den Banditen. Vielleicht ist er bereit, Ihnen zu helfen. Ich kann Sie leider nicht begleiten. Mir ist etwas dazwischengekommen, das keinen Aufschub duldet. Wir sehen uns morgen Abend oder schon vorher.«
    Erst nachdem er das Haus betreten hatte, fiel Koroljow ein, dass er keine Ahnung hatte, wo Babels Wohnung lag. So stellte er das Lebensmittelpaket in seinem Zimmer ab und stieg in den zweiten Stock hinauf, in der Hoffnung, dass ihm der einarmige Hausverwalter Luborow weiterhelfen konnte. Ein wenig außer Atem klopfte er und wartete. Schließlich hörte er ein Rumoren und dann näher kommende hohle Schritte auf dem Holzboden.
    »Wer ist da?« Luborows Stimme klang angespannt.
    »Koroljow. Ich bin gestern eingezogen.«
    Die Tür öffnete sich, und Luborow spähte heraus. »Es ist schon fast neun Uhr, Genosse. Brauchen Sie mich als Zeugen?« Luborows Frage bezog sich auf die gängige Praxis, bei Verhaftungen zwei unabhängige Zeugen hinzuzurufen, vor allem wenn es sich um eine politische Angelegenheit handelte.
    »Nein, sagen Sie mir einfach, wo der Schriftsteller Babel wohnt.« Manche Leute verdienten sich etwas dazu, indem sie sich als Zeugen zur Verfügung stellten. Meistens wurden sie in dieser Eigenschaft jedoch nachts gebraucht, und das bedeutete, dass man um seinen Schlaf kam, wenn man in einer Fabrik oder auf einer Baustelle arbeitete. Durch seine Behinderung und seine Stellung in der Hausverwaltung tat sich Luborow da wohl leichter, dennoch war es alles andere als ein angenehmer Zeitvertreib.
    »Babel? Der hat seine Zimmer in der Wohnung des Österreichers. Ich bin froh, dass Sie mich nicht rausholen, ich brauche dringend Schlaf. Plötzlich geht es hier drunter und drüber, so war es schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Jedenfalls, es ist die große schwarze Tür einen Stock höher auf der linken Seite. Genosse Babel hat also Gäste?«
    »Das weiß ich nicht, ich bin verabredet.«
    »Ich glaube, vorhin sind ein paar Leute gekommen. Er lädt öfter jemanden ein. Mich natürlich nie. Nun, grüßen Sie ihn von mir. Gute Nacht, Genosse.« Luborows Tür schloss sich.
    Nach kurzem Zögern wandte sich Koroljow zur Treppe. Die Zeugen hatten also wieder viel zu tun. Natürlich hatte niemand geglaubt, dass sich alles ändern würde, so ahnungslos waren die Moskauer nicht, doch anscheinend war der stille Optimismus der letzten Monate unangebracht gewesen. Schließlich zuckte er die Achseln.
    Er konnte so oder so nichts daran ändern. Es war wie mit dem Unfall des armen Andropow. Bestimmte Dinge musste man einfach hinnehmen und dann möglichst schnell vergessen.
    Er klopfte an die wirklich ungewöhnlich große schwarze Tür, hinter der er Lachen und Jazzmusik

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