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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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bekommen nur die schmutzigsten Arbeiten. Und sie überleben nicht lang. Als Vergewaltiger wird Woroschilow auf diese Weise enden, wenn er nicht sehr viel Glück hat.«
    Schuras Kopf ruckte kurz und hart nach unten. Es war auch die Gerechtigkeit der Bauern. Hart, sogar grausam, aber in den Augen eines Bauern angemessen. Sie war damit einverstanden.
    Babel deutete ein Lächeln an. »Sie haben eigene Regeln, für kultivierte Menschen ist das schwer nachzuvollziehen.«
    Voller Bestürzung starrte ihn Walentina Nikolajewna an. »Wie kann so etwas zugelassen werden? Diese Banditen sind doch nicht das Gesetz.«
    »Sie sind es in den Lagern, und die Wachen erlauben es.« Medwedjews Augen brannten. »Die Banditen sind die Hunde der Wachen, und die anderen sind die Schafe. So nennen die Banditen uns -die Politischen und die anderen. Und sie können uns scheren, wann und wie es ihnen einfällt. Die Unberührbaren sind da, damit wir nicht vergessen, dass es trotz allem noch schlimmer werden kann. Und damit wir uns mitschuldig machen, denn wir verschwören uns alle gegen die Unberührbaren. Wenn wir ihnen helfen würden, würden wir zu einem von ihnen werden. Ein Spiegelbild der sowjetischen Gesellschaft im Kleinen, meinen Sie nicht auch, Hauptmann Koroljow?« In der folgenden Stille hob Medwedjew das Kinn, als würde er sich für einen Schlag wappnen.
    Seufzend schüttelte Koroljow den Kopf. »Ich bin Kriminalbeamter, Genosse. Ich spüre schlechte Menschen auf, die schlechte Taten begangen haben, und sorge dafür, dass sie an einen schlechten Ort gebracht werden. Mehr nicht. Und was die sowjetische Gesellschaft angeht, so glaube ich, dass es aufwärtsgeht. Wir wissen alle, dass sie nicht vollkommen ist. Das sagt auch Genosse Stalin. Es gehört zur selbstkritischen Einstellung der Bolschewisten, die vorhandenen Mängel zu erkennen. Es kommt nicht darauf an, wo wir stehen, sondern darauf, wohin wir unterwegs sind.«
    »Aber wir wissen doch, wohin wir unterwegs sind, Hauptmann Koroljow. Direkt in die ...« Medwedjew verstummte und wandte sich seiner Frau zu. die ihn am Arm gepackt hatte und leicht den Kopf schüttelte.
    Babel reichte ihm und Koroljow ein Glas Wein. Die Unterbrechung des Gesprächs schien ihn nicht zu stören. Als alle ein volles Glas in der Hand hatten, hob er seines. »Also, meine Freunde. Auf unsere glorreiche Zukunft.« Einen Moment lang rührte er sich nicht, als wollte er das Morgen in der Farbe des Weins erkennen. Alle schienen in Gedanken versunken, und Koroljow fragte sich, ob auch sie sich vorstellten, wie diese glorreiche Zukunft aussehen mochte.
    »Wissen Sie, dass Sie Schuras Herz im Sturm erobert haben?«, fragte Babel, nachdem die anderen Gäste sich verabschiedet hatten und seine Frau zu Bett gegangen war. »Sie liebt Männer, die einen gesunden Appetit und grausige Geschichten auf Lager haben. Sie müssen wiederkommen, denn ab jetzt will sie Sie bestimmt beköstigen. Aber passen Sie bloß auf, sonst werden Sie dick. Schauen Sie mich an. Ich war eine Bohnenstange, als sie sich meiner angenommen hat.«
    »Aber eine fette Bohnenstange«, drang Schuras Kommentar aus der Küche.
    Babel lachte und erhob sich schwerfällig von der Schlafcouch. »Nun, Genosse, gehen wir ins Arbeitszimmer, dort können wir ungestört reden.« Babel führte ihn in einen Raum mit Schreibtisch und Schreibmaschine, einer Chaiselongue und Unmengen von Büchern, die fast jeden verfügbaren Zentimeter an den Wänden und am Boden bedeckten.
    Er schloss die Tür. »Das Zimmer gehört eigentlich nicht mir. Ich teile mir die Wohnung mit einem österreichischen Ingenieur. Aber er ist in Salzburg, und wir wissen nicht, wann er zurückkommt. Er ist schon seit acht Monaten weg, und ich habe das Zimmer allmählich übernommen. Ehrlich gesagt, rechne ich nicht mit seiner Rückkehr - aber der Hausverwaltung sage ich, dass ich ihn stündlich erwarte. Natürlich.«
    »Ein Österreicher?«, fragte Koroljow erstaunt.
    »Ja, ein Ingenieur. Ich glaube, er wollte nicht noch einen russischen Winter erleben, deswegen ist er zu Hause in den Alpen geblieben, hört Mozart und trinkt heiße Schokolade. Wahrscheinlich ist der Schnee dort anders, höflich und sanft.«
    »Ich dachte ...«
    »Zweifellos. Es ist gefährlich, aber ich brauche den Platz zum Schreiben. Übrigens kann ich Ihnen versichern, dass ich kein österreichischer Spion bin.«
    »Selbstverständlich nicht.«
    »Ach, so selbstverständlich ist das nie. Die Partei kann jederzeit etwas anderes

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