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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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Frau?« Der Schmerz in seinem Kopf verlieh Koroljows Stimme eine unbeabsichtigte Barschheit.
    »Ich kenne sie aus Odessa, wir waren früher befreundet.« Babels gedehnter Tonfall bei dem Wort »befreundet« ließ darauf schließen, dass es mehr gewesen war. »Und jetzt ist sie mit Jeschow verheiratet, da trifft man natürlich allerhand interessante Leute bei ihr.«
    »Jeschow? Der neue Generalkommissar für Staatssicherheit?«
    »Ja, genau der. Privat ist er ein sehr angenehmer Mensch, und ich gebe zu, dass ich diese Staatsschützer gern aus der Nähe beobachte. Was sie tun, ist bestimmt nicht leicht, aber man sieht es ihnen nicht an, wenn sie mit einem Glas prickelnden Abrau-Durso dastehen. Elegant, fast wie Buchhalter eines Staatskonzerns, aber nicht mehr. Von den Verhören und all dem anderen scheint kaum etwas an ihnen haften zu bleiben.«
    Völlig verwirrt schüttelte Koroljow den brummenden Schädel. Nein, Babel spionierte nicht
für
den NKWD, er spionierte den NKWD
aus.
»Verraten Sie mir eins, Isaak Emmanuilowitsch. Wie gut kannten Sie Frau Jeschow in der Vergangenheit, als Sie mit ihr >befreundet< waren?«
    Babel wirkte verlegen. Auch das war eine Antwort.
    »Weiß er davon?«
    Babel lachte. »Ich glaube nicht, dass es ihm viel ausmacht, ist doch alles schon lange her, und er ist auch nicht gerade ein Kostverächter.«
    »Weiß er, was Sie schreiben?«
    Mit einem kurzen Blick über die Schulter vergewisserte sich Babel, dass niemand zuhörte. »Wovon reden Sie überhaupt, Alexei Dimitrijewitsch? Ich habe nie gesagt, dass ich an etwas schreibe.«
    Koroljow spürte den Schmerz, als er ungläubig die Brauen hochzog. Bis der Riss verheilt war, sollte er mimische Kraftakte wohl besser vermeiden.
    Wieder beäugte Babel nervös das Gebäude hinter ihnen. »Höchstens ein paar Notizen. Sie können nicht abstreiten, dass es interessante Fragen aufwirft. Kann es wirklich so viele Feinde geben? Und wenn die Tschekisten selbst infiltriert wurden? Wenn sich die Angst vor ausländischen Einmischungen, vor Spionen, Faschisten und allem anderen immer weiter fortpflanzt? Sie wissen schon, wie eine Maschine, die man nicht mehr abschalten kann, sobald sie läuft. Sie macht immer weiter, bis keiner mehr übrig ist. Sie erzählen mir Sachen, die Tschekisten. Haarsträubende Sachen. Sie haben Quoten, Alexei Dimitrijewitsch. Wie eine Fabrik. Jeder Bezirk muss eine vorgegebene Zahl von Konterrevolutionären und Spionen enttarnen. Ist Ihnen klar, was das bedeutet? Inzwischen braucht es nicht mal mehr einen Verdacht, damit ein Mensch erschossen wird - es geht einfach nur darum, die Quote zu erfüllen, und dafür ist jeder recht. Und sie muss nicht nur erfüllt, sondern übertroffen werden, wenn ein hohes Tier Karriere machen und nicht darauf angewiesen sein will, dass er die Quoten bei der nächsten Zählung frisiert. Also schreibe ich vielleicht was, aber nur für die Schublade. Denn dergleichen könnte man natürlich nie veröffentlichen. Und der Kern des Problems ist, dass wir als Land tatsächlich in Gefahr sind. Diese Lastwagen dort drüben wird man eines Tages benutzen, und nicht nur zu Übungszwecken. Ein Krieg wird ausbrechen, und wir werden dabei sein. Aber ein paar Worte für die Schublade können doch nicht schaden.«
    Koroljow legte Babel die Hand auf den Mund, um ihn endlich unterbrechen zu können. »Darüber dürfen Sie nie mehr mit jemandem sprechen, Isaak. Sagen Sie solche Dinge nicht. Vor allem nicht in meiner Gegenwart.«
    Babel schien verwirrt. »Aber Sie sind nicht wie diese Leute.«
    »Sie kennen mich doch kaum. Ich bin ein loyaler Sowjetbürger und ein Angehöriger der Miliz. Vergessen Sie das nicht.«
    Babel setzte ein verschwörerisches Lächeln auf. »Natürlich, ich verstehe.«
    »Gut, das wäre also geklärt.« Koroljow ignorierte das Lächeln. »Noch eine Frage. Sind Sie auf einer dieser Feiern jemals einem Tschekisten namens Mironow begegnet? Boris Iwanowitsch Mironow, ein Major.«
    »Der Name kommt mir bekannt vor. Ich könnte ein paar Leute fragen.«
    »Es wäre schlecht, wenn Gregorin erfahren würde, dass Sie nach dem Mann gefragt haben.«
    »Sie machen sich zu viele Sorgen. Ich persönlich bin nach den letzten Jahren zu dem Schluss gekommen, dass man sich nur noch mehr in Gefahr bringt, wenn man ängstlich darauf bedacht ist, allen Risiken aus dem Weg zu gehen. Diese Leute riechen die Furcht. Irgendwann hört das Telefon auf zu klingeln, Freunde wechseln die Straßenseite, um einem nicht zu

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