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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gesehen, wie er ein Stück Papier von einem Engländer bekommen hat, den du hergebracht hast. Die Engländer sind alle Protestanten, habe ich gehört.«
    Boris sagte kein Wort, doch Daniel war überzeugt, daß er sein Ziel bei ihm erreicht hatte.
    Für Boris war es insgesamt ein Jahr übler Vorzeichen. Es gab Zweifel an der Loyalität der nördlichen Städte Novgorod und Pskov. Weit im Süden, auf der Krim, bereiteten die osmanischen Türken mit den Krim-Tataren angeblich eine Offensive gegen die unteren Wolga-Regionen vor. Und nun kam die Nachricht im Sommer, daß die beiden Mächte Polen und Litauen formell zu einem Königreich unter Regierung eines katholischen polnischen Königs verbunden wurden.
    »Das bedeutet, daß wir Katholiken von Kiev bis Smolensk haben, also direkt vor unserer Haustür.«
    Und jetzt mußte er auch noch argwöhnen, daß seine Frau ihn mit dem Priester hinterging. Er brütete stundenlang darüber. Teils verspürte er Wut, teils Abscheu gegenüber dem ketzerischen Priester, den er noch nie hatte leiden können. Und auch gegen seine Frau fühlte er Aggressionen. Falls aber Daniel gedacht hatte, daß es auf diese Weise ein leichtes sei, Stefan in Ungnade fallen zu lassen, hatte er sich getäuscht. Boris beschloß, vorerst nichts zu unternehmen. Allerdings wollte er die beiden heimlich beobachten lassen. Aus gutem Grund: Wenn wirklich nachzuweisen war, daß Elena ihm untreu war, konnte er sich guten Gewissens von ihr scheiden lassen.
    Man muß ja nur den Zaren ansehen, dachte Boris. Er hat wieder geheiratet und hat Söhne aus beiden Ehen. Der Zar hatte einen Erben. Vielleicht, daß auch er – mit einer anderen Ehefrau, die sich ihm nicht entzog…
    Elena hatte keine Ahnung, was in Boris' Kopf vorging. Der Gedanke an ihre mögliche Untreue verletzte ihn, und doch wurde sie dadurch wieder begehrenswerter. Elena dachte nur, daß er seine düsteren Stimmungen habe, daß sie ihm aber noch immer nicht gleichgültig sei. Die Ernte war vernichtet. An einem außergewöhnlich schwülen Julinachmittag ritt Boris von Sumpfloch nach Russka zurück. Er war auf den Feldern gewesen. Als er auf den staubigen kleinen Platz kam, sah er Stefan, den Priester, langsam die Treppe seines Hauses herunterkommen. Er mußte bei Elena gewesen sein. Boris' Herz setzte einen Augenblick lang aus. Stefan entfernte sich, in Gedanken versunken. Leise ging Boris hinauf und öffnete die Tür.
    Elena stand am offenen Fenster und blickte hinaus. Ihre Finger lagen am hölzernen Fensterrahmen. Sie trug ein einfaches hellblaues Seidenkleid und sah sehr mädchenhaft aus. Sein Herz klopfte, doch er atmete ruhig. Sie blickte immer noch hinter dem Mann her. Nach einer Minute wandte sie sich um. Ihr Gesicht wirkte sehr ruhig, doch sie war überrascht, ihn da stehen zu sehen. Und als er sie wortlos anstarrte, errötete sie ein wenig. »Ich habe dich nicht hereinkommen hören.«
    »Ich weiß.« Hatten sie Zärtlichkeiten ausgetauscht? Er suchte nach einem Hinweis. War da nicht ein Strahlen in ihren Augen? War ihr Kleid zerdrückt? Unordnung im Zimmer? Er konnte nichts entdecken. Dennoch sagte er: »Du liebst ihn.« Sie errötete tief, schluckte, sah sehr unglücklich aus. »Nein. Nicht als Mann. Nur als Priester.«
    »Ist er denn kein Mann?«
    »Natürlich. Ein feiner Mann, ein frommer Mann«, widersprach sie. »Ihr seid zärtlich miteinander.«
    »Nein. Niemals!«
    »Lügnerin!«
    »Niemals!«
    Das bedeutete wohl, daß sie es sich gewünscht hätte. Seine Vernunft sagte ihm, daß sie es nicht getan hatte, doch sein Stolz verbot ihm, ihr zu trauen.
    Sie war jetzt blaß, sie zitterte, hatte Angst. »Niemals! Du beleidigst mich.« Da sah Boris plötzlich etwas wie Verachtung, Zorn in ihren Augen, etwas, das er nie zuvor gesehen hatte. Er machte einen Schritt auf sie zu und schlug ihr so heftig ins Gesicht, daß ihr Kopf nach hinten zuckte. Sie schrie auf. Er schlug sie mit der anderen Hand. »Du brutaler Kerl!« schrie sie. »Mörder!«
    Er schlug sie wieder und wieder. Dann vergewaltigte er sie. Am nächsten Morgen ritt er nach Moskau.
    Im September 1569 starb die zweite Gemahlin des Zaren. Einen Monat später wurde Fürst Vladimir, Ivans Vetter und weiterhin Thronanwärter, der Verschwörung angeklagt und gezwungen, Gift zu trinken. Anschließend wurde die ganze Familie des unseligen Fürsten umgebracht.
    Ende des Jahres deckte Ivan eine weitere Verschwörung auf. Er bekam die Nachricht, daß Novgorod und Pskov planten, sich

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