Russka
Türken niedergebrannt. Jeder fürchtete die Kosaken.
»Ohne uns Kosaken wären der Zar und seine Familie nie auf den Thron gekommen«, pflegte der alte Ostap zu sagen. Bald nach dem Tod Ivans des Schrecklichen war die alte Moskoviter Linie zu Ende gegangen. Eine Zeitlang hatte ein mit dem Herrscherhaus verwandter Bojar, Boris Godunov, versucht, das Land zusammenzuhalten, doch vergeblich. Dann kamen unheilvolle Jahre, die Seuchen und Hungersnöte brachten. Ein falscher Thronprätendent nach dem anderen riß die Macht an sich. Auch andere Staaten sahen eine Chance für sich: Schweden fiel ein, und der polnische König versuchte, den Moskauer Thron zu übernehmen und das Land zum Katholizismus zu zwingen. Schließlich erhob sich das große Rußland. Es waren nicht die Fürsten und Magnaten, nicht der führende Adel, sondern die einfachen Bauern, die kleinen Landbesitzer und die orthodoxen Gemeindeältesten jenseits der Wolga, die sich mit Speeren und Äxten bewaffnet zusammentaten, um die Katholiken zu vertreiben. »Und wir, die Kosaken, haben unseren orthodoxen Brüdern geholfen«, war Ostaps stolzer Kommentar.
Die Polen wurden vertrieben. Eine Reichsversammlung, der zemskij sobor, wurde einberufen und eine beliebte Bojarenfamilie gewählt. Damit war die Dynastie der Romanovs begründet. Wie alle Kosaken war Andrej einem autoritären Herrscher wie dem Zaren gegenüber mißtrauisch. Die Russen jedoch betrachtete er aus einem einfachen Grund als seine Brüder: Sie waren orthodox.
»Sie haben die katholischen Polen aus ihrem Land verjagt. Vielleicht können wir sie eines Tages auch aus unserem verjagen«, sagte er. Die Dnjepr-Kosaken hatten dem polnischen König über mehrere Generationen gedient. Manchen von ihnen war ein besonderer Offiziersstatus zuerkannt worden, wodurch sie in ein Dienstregister aufgenommen wurden und Anspruch auf regelmäßigen Sold hatten. Die Mehrzahl blieb jedoch unberücksichtigt. Als Nichtkatholiken wurden ihnen ohnehin weniger Rechte zugestanden. Verschiedentlich revoltierten sie, um ihre Lage zu verbessern. Diese Revolten wurden niedergeschlagen, und in den vergangenen Jahren waren den Registerkosaken nicht einmal eigene Anführer zugestanden worden. Ihr Oberhaupt, der hetman, wurde von Polen ernannt, und viele ihrer Offiziere kamen aus niederem polnischen Adel, der szlachta. Kein Wunder also, daß auch die bessergestellten Kosaken unzufrieden waren.
Und nun war offenbar eine neue Kampagne im Gange. Diese Nachricht hatten jedenfalls die beiden Kosaken aus dem Zaporoger Lager gebracht. Man wollte den Polen eine Lektion erteilen. Andrej fragte sich, ob er mit von der Partie sein würde. Die Sonne stand noch hoch, der Nachmittag war angenehm warm, als Andrej zum Hof zurückkam, der von der Nachmittagssonne beschienen wurde. An drei Seiten waren die Nebengebäude und das breit hingelagerte Haupthaus mit der schattigen Veranda, den weißgetünchten Lehmmauern und den rotgrünen Läden von Bäumen umgeben.
Da stand der Vater auf der Veranda. Andrej lächelte ihm fröhlich zu.
Ein Beobachter hätte sofort gesehen, daß es sich um Vater und Sohn handelte, wenn auch Ostaps Gesicht etwas breiter war als das Andrejs. Ostap hatte einen wunderschönen grauen Schnurrbart, der ihm fast bis auf die Brust hing. Er trug bauschige Hosen und ein Hemd, beides aus Leinen, gegürtet mit einer Seidenschärpe. Andrej wußte, daß der alte Mann nicht gesund war. Das rote Gesicht, die Atembeschwerden deuteten darauf hin, daß der alte Krieger wohl nicht mehr lange zu leben hätte. Was wird aus dem Hof, wenn er nicht mehr ist und ich mit in den Kampf ziehe? überlegte Andrej. Seine beiden Schwestern waren längst verheiratet. Sein Bruder war sechs Jahre zuvor in einer Schlacht den ehrenvollen Kosakentod gestorben.
Was würde aus dem Hof werden? Sie hatten ja auch Schulden. Denn Ostap liebte das gute Leben, er trank gern – wie alle Kosaken. Außerdem konnte er nur schwer an einem schönen Pferd vorübergehen, ohne es zu kaufen.
»Woher nimmt er nur das Geld?« hatte Andrej seine Mutter gefragt. Sie wußte es: Ostap hatte sich Geld geliehen. In Perejaslavl und auch in Kiev gab es reisende Kaufleute, die sich den Karawanen auf der alten Salzroute über die Steppe zur Krim anschlossen. Sie verliehen Geld. Das taten auch ein Kaufmann in Russka und die Juden.
Andrej war unschlüssig, ob er seine alten Eltern in dieser Situation allein lassen konnte. Doch sein Vater nahm ihm die Entscheidung ab.
»Du reitest
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