Russka
polnische Herren sah Stanislaus auf die Kosaken herab. Obwohl sie tapfer waren, betrachtete er sie mehr oder weniger als Banditen und entlaufene Bauern, die sich eine Stellung anmaßten, die ihnen nicht zustand. Vor allem aber verachtete Stanislaus ihre orthodoxe Religion.
Die religiöse Spaltung zwischen Herren und Knechten in der Ukraine war ein halbes Jahrhundert zuvor verschärft worden, als die katholische Kirche geschickt einen historisch wichtigen Kompromiß mit den orthodoxen Bischöfen, die ihren Sitz in Kiev hatten, schloß. Darin erkannten diese unter Beibehaltung des östlichen, also des orthodoxen Ritus den Primat des Papstes an. Damit war die sogenannte griechisch-katholische oder unierte Kirche entstanden. Viele orthodoxe Christen verweigerten allerdings die Anerkennung, und so gab es in der Ukraine schließlich drei Kirchen: die katholische, die unierte und die orthodoxe. Die Kosaken entschlossen sich überdies, für den alten orthodoxen Glauben einzutreten. In jeder Stadt, vor allem in der östlichen Ukraine um Kiev, bildeten sich Bruderschaften zur Verteidigung dieser Glaubensrichtung.
Stanislaus deutete auf den schmaleren der beiden Juden, die ihn begleiteten. »Das ist Mordechai«, sagte er. »Ich habe ihm diesen Hof verpachtet, also werdet Ihr für ihn arbeiten. Er wird Euch sagen, was zu tun ist, nicht wahr, Mordechai?«
Das war eine grobe Beleidigung. Ostap sah vom Polen zum Juden und wußte nicht, wen er mehr haßte. Was die Religion anbetraf, so mißtraute er dem Katholiken mehr als dem Juden. Ostap hatte sein Leben in der Ukraine verbracht, wo seit der Zeit der Chazaren die orthodoxen und die jüdischen Gemeinden einander in der Regel toleriert hatten. Ostaps Haß gegen die Juden gründete sich nicht auf deren Religion, sondern auf die Rollen, die die polnischen Oberherren ihnen zugeteilt hatten – als Steuereinnehmer, Konzessionsinhaber für Spirituosen oder Pachtbeauftragte. Es waren praktisch immer Juden, die als Geldeintreiber auftraten, auch wenn die Polen die eigentlichen Gläubiger waren.
Das Pachtverfahren, das Stanislaus hier anzuwenden gedachte, war ein dunkler Punkt im polnischen System. Mordechai würde den Hof wohl nur für einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren pachten. Dafür würde er kassieren und Stanislaus einen überhöhten Pachtzins bezahlen. Stanislaus wiederum würde ihn unterstützen, wenn es darum ging, aus den Bauern Extragewinne herauszuholen. Wenn demnach Stanislaus drei oder vier Tage zusätzliche Arbeit von Ostap forderte, konnte es passieren, daß durch die Zwischenschaltung eines weiteren Arbeitgebers, der ebenfalls auf Gewinn aus war, Ostap schließlich zusätzlich fünf oder sogar sechs Tage für andere arbeiten mußte.
»Das ist soweit geregelt.« Stanislaus blickte zu dem anderen Juden hin. »Aber da ist noch etwas. Es sieht so aus, als schuldetet Ihr Yankel Geld für Alkohol. Er sagt, Ihr hättet ihn zwei Jahre lang nicht bezahlt. Gebt mir die Rechnung, Yankel. Ach, ja.« Er reichte Ostap das Papier. Der warf einen Blick darauf und starrte dann niedergeschlagen vor sich hin.
»Der Jude lügt«, behauptete er, doch Andrej merkte am Ton der Stimme, daß sein Vater dessen nicht so sicher war. Mordechai war ein Fremder, doch Yankel war Andrej sehr gut bekannt. Der dicke, fröhliche Bursche führte den Spirituosenladen in Russka. Fast jeder in der Gegend schuldete ihm Geld, doch seine Zinsforderungen waren nicht übermäßig. Wenn Andrej an den außerordentlichen Wodkakonsum seines Vaters dachte, schien ihm Yankels Anspruch durchaus gerechtfertigt. »Nun, wollt Ihr bezahlen?« fragte der Pole. »Nein«, erwiderte Ostap.
»Gut, wie Ihr meint! Yankel, geht in den Stall, und sucht Euch das beste Pferd aus. Damit sollten die Schulden abgegolten sein.« Yankel hatte sich schließlich an den Polen gewandt, nachdem er sein Geld ein Jahr lang vergeblich verlangt hatte, aber nun bedauerte er diesen Schritt. Er hatte keine Lust, sich Ostap zum Erzfeind zu machen. Verlegen ging er in den Stall und kam mit einem Pferd zurück, das keinesfalls das beste war. »Damit seid Ihr zufrieden?« fragte Stanislaus. »Es genügt, Euer Hochwohlgeboren.«
Der Pole zuckte die Achseln. »Lebt wohl«, sagte er nur und ritt davon. Die beiden Juden folgten ihm.
Eine Weile war es still. Dann wandte Andrej sich an den Vater: »Morgen reite ich nach Süden«, sagte er leise.
Ostap nickte. Selbst Andrejs Mutter hatte keinen Einwand mehr. Es war nichts mehr zu verlieren.
»Wenn
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