Russka
morgen früh weg. Ich habe alles Nötige veranlaßt.«
»Aber was wird aus dem Hof, Vater? Wie kommst du zurecht?«
»Sehr gut, verdammt noch mal! Bist du bereit zur Abreise?« Andrej zögerte.
»Was ist?« schrie der Vater. »Du gehorchst mir nicht? Oder bist du zu feige?«
Dieser schlaue Fuchs, dachte der junge Mann plötzlich. Er stachelt mich absichtlich auf, damit ich nicht bleibe, wie Mutter es möchte. In diesem Augenblick kamen drei Reiter aus dem Wald auf sie zugeritten. Bei ihrem Anblick verstummten Vater und Sohn. Einer der Männer war vornehm gekleidet und ritt einen prächtigen Braunen. Die beiden anderen in langen schwarzen Mänteln saßen auf kleineren Pferden. Der erste war ein polnischer Adliger, die anderen beiden waren Juden. Seit Generationen war der polnische Staatenbund das einzige Land in Osteuropa, wo die Juden in Frieden leben konnten.
Die drei postierten sich vor der Veranda, ohne abzusteigen. Der Pole ließ seinen Blick kühl über Vater und Sohn gleiten, dann betrachteten alle drei den Hof. Andrej sah den Goldbrokat der Borten an dem schönen Mantel des Adligen in der Sonne glänzen.
Die langen edlen Hände ruhten lässig auf dem Sattelknauf. Das blasse Gesicht war lang und schmal und bis auf einen dunklen Schnurrbart rasiert. Der Mann hatte große, leuchtendblaue Augen. Stanislaus, ein Verwandter des bedeutenden litauisch-polnischen Fürsten Vjschnevetskij, war der zuständige Beamte für diese Region und überwachte mehrere kleine Forts wie Russka, die am Rande der Steppe in Vjschnevetskijs Besitz waren. »Nun, Ostap«, sagte Stanislaus wie beiläufig, »wir übernehmen den Hof.«
Augenblicke lang herrschte völlige Stille.
»Was meint Ihr – den Hof übernehmen?« platzte Andrej heraus. »Dieser Hof gehört uns.«
»Nein, er hat Euch nie gehört. Ihr seid nur Pächter. Er wurde Euch für dreißig Jahre ohne Verbindlichkeiten überlassen, und die sind jetzt abgelaufen.«
Andrej sah seinen Vater an. Der alte Ostap blickte unschlüssig drein. »Das liegt dreißig Jahre zurück«, murmelte er. »Genau. Und jetzt haben die Vjschnevetskijs mir den Besitz verkauft. Ihr schuldet mir den Dienst.«
Um Siedler für die Grenzländer zu gewinnen, hatten die polnischen Magnaten in der Vergangenheit häufig Land ohne Auflagen für zehn, zwanzig, selbst dreißig Jahre vergeben. Männer wie Ostap hatten solches Land übernommen und schließlich die Meinung gewonnen, es sei für alle Zeit freies Land. Ostap hatte die ursprünglichen Besitzbedingungen Andrej gegenüber niemals erwähnt.
»Ich bin seit dreißig Jahren hier«, beharrte der alte Mann störrisch, »und das bedeutet, daß der Hof mir gehört.«
»Habt Ihr einen Freibrief, der das bestätigt?«
»Nein, verdammt noch mal. Dies ist mein Freibrief!« Und Ostap streckte kämpferisch seine geballte Faust hoch. Stanislaus sah ihn ruhig an. »Ihr schuldet Frondienst für dieses Land.«
Andrej hielt den Atem an. Frondienst! Der Pole forderte, sein Vater, ein ehrenwerter Mann, solle für ihn auf den Feldern schuften wie ein gemeiner Bauer, ein Leibeigener.
»Ich bin ein Registerkosak!« Der alte Mann blieb beherrscht. »Ein Offizier. Niemand kann mich zur Feldarbeit zwingen.«
»Ihr wart auf dem Register. Aber Ihr seid es nicht mehr.« Nichts war wichtiger für die Dnjepr-Kosaken als das Register. Im allgemeinen enthielt es an die fünftausend Namen von Kosaken, die anerkanntermaßen in militärischen Diensten beim König von Polen standen. Hin und wieder wurde das Register nach einem Kosakenaufstand erweitert, dann jedoch erneut gekürzt. Ostap war eine Zeitlang als Offizier registriert gewesen, hatte diese Stelle jedoch inzwischen verloren. Nach Maßgabe des polnischen Königs war jeder Kosak, der nicht im Register verzeichnet war, ein Bauer und deshalb zu Fronarbeit wie ein Leibeigener verpflichtet. Die meisten Kosaken waren dagegen der Ansicht, daß sie, wenn auch nicht adlig, so doch ebensoviel wert wie ein Adliger waren. »Ein Kosak ist ein Herr, du polnisches Schwein!« stieß Ostap hervor. »Aber was weiß ein Pole schon von Adel!« Stanislaus verachtete den alten Mann. Die polnischen Herren waren stolz. Sie waren nicht Sklaven ihres Herrschers, wie die Russen Sklaven ihres Zaren waren. Sie wählten ihre Könige und legten deren Macht in dem großen sejm, dem Parlament der Adligen, fest. Nicht von ungefähr wurde der polnische Staat, von dem die Ukraine einen Teil bildete, als Staatenbund bezeichnet. Und wie die meisten
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