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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ich mit meinen Kameraden zurückkomme«, erklärte Andrej in kalter Wut, »töten wir jeden Polen und jeden Juden in der Ukraine. Dann gehört der Hof uns.«
    Etwas hatte Andrej in dieser Nacht noch zu erledigen, doch er wartete. Der alte Ostap schlief im Sommer draußen. Er wickelte sich in eine Decke und sah hinauf zu den Sternen, bis er einschlief. Als er seinen Vater schnarchen hörte, schlich Andrej davon.
    Er ging den Pfad entlang. Der Halbmond stand tief am Horizont und tauchte den Wald in einen sanften Glanz. Andrej kam an dem stillen Teich vorbei, in dem der Sage nach rusalki wohnten. Und wenig später war er in Russka.
    Seit den Tagen Monomachs hatte sich kaum etwas verändert. Allerdings war die kleine Steinkirche von den Mongolen zerstört worden; danach hatte das Dorf zweihundert Jahre lang verlassen gelegen. Nun aber war der Ort wieder bewohnt. Auf der einen Seite des Flusses standen wieder Hütten beieinander, es gab ein kleines Fort mit einer Palisade auf der anderen Seite. Innerhalb des Forts erhob sich eine hölzerne Kirche mit einem Türmchen. Andrej kroch lautlos hinauf zu einer großen Holzhütte am Rand der Siedlung. Ein Wachhund hob den Kopf, doch als er Andrej erkannte, wedelte er mit dem Schwanz. Im oberen Stock des Gebäudes war unter dem Dachfirst ein einzelnes Fenster mit einem Balkon davor; die Fensterläden waren offen, damit die Nachtluft eindringen konnte.
    Andrej kletterte hinauf und klopfte leise an den Fensterrahmen. »Anna. Ich komme zu dir.«
    Ein leises Geräusch war drinnen zu vernehmen. Eine Gestalt erschien im Dunkel des Zimmers, dann war ein leises Lachen zu hören. »Was soll das, mein tapferer Held, ein Mädchen nachts zu besuchen?«
    Andrej wollte schon ein Bein über das Fensterbrett schwingen, doch Anna schob ihn wieder zurück.
    Nun sah er sie, und der Anblick raubte ihm den Atem. Anna war die Tochter eines Kosaken und einer Tscherkessin aus dem fernen Kaukasus. Sie war fast so groß wie Andrej, schlank, hatte dunkelbraunes Haar, samtweiche blasse Haut, und sie trug ihren Kopf so hoch wie ein stolzer junger Krieger. Sie war gerade erst sechzehn Jahre alt geworden und noch unverheiratet. »Ich heirate erst, wenn mir ein Mann begegnet, der mit wirklich gefällt«, hatte sie ihren Eltern und dem ganzen Dorf erklärt. Nach der Art der Kosakenmädchen ging sie frei und unkompliziert mit jungen Männern um. Der eine oder andere mochte ihr wohl einen Kuß rauben, doch wenn er zu weit ging, war sie ihm allemal gewachsen und wies ihn in seine Schranken. Doch seit Andrej aus Kiev zurückgekommen war, wo ihn Priester unterrichtet hatten, hatte sich in ihrer Haltung ihm gegenüber etwas geändert.
    Sowenig auch die Polen von der orthodoxen Kirche halten mochten – in den vergangenen zwanzig Jahren hatte sie große Fortschritte gemacht. Unter einem ehrgeizigen jungen Kirchenmann, Peter Mohyla, der zuerst im Höhlenkloster gelebt hatte und dann Metropolit in Kiev wurde, entstanden eine Akademie und mehrere Schulen. Obwohl sie nach dem Vorbild der Jesuitenschulen der Polen organisiert waren, blieben sie doch streng orthodox. Innerhalb dieser Bewegung wurden Druckereien eingerichtet, Lesen und Schreiben wurden zum Allgemeingut.
    Andrej entsprach also Annas Vorstellung von einem gebildeten Herrn. Er konnte lesen und schreiben, er sprach etwas Latein und Polnisch, der Hof seines Vaters hatte eine angemessene Größe. Und attraktiv war Andrej obendrein.
    Vor allem aber spürte sie, daß hinter Andrejs Charme und jugendlicher Heißblütigkeit etwas lag, das sie besonders anzog: Er war ehrgeizig, und das sagte sie auch ihrem Vater. Sie hatte dafür gesorgt, daß Andrej ihre Einstellung kannte, bevor die Ernte begann. »Die meisten Kosaken sind Dummköpfe, Andrej«, erklärte sie rundheraus. »Sie träumen vom Kampf und trinken sich zu Tode. Die wenigen, die klüger sind, bringen es zu etwas. Ein paar werden sogar geadelt.«
    Er hätte seinen Vater gern gebeten, mit ihrem Vater eine Heirat zu arrangieren, doch da war noch etwas: Ich will erst in den Kampf ziehen, dachte er. Ich möchte etwas von der Welt sehen, ehe ich heirate.
    Und nun würde er fortziehen. Er sah sie an. Sie trug nur ein Leinenhemd, das ihren Körper locker umspielte. Er nahm nicht nur ihre helle Gestalt wahr, zu seinem Entzücken sah er auch ihre Brust. Sein Herz klopfte.
    Sie bemerkte seinen Blick, machte jedoch keine Anstalten, ihr Hemd zurechtzuziehen. Ihr Stolz war ihr Schutz. Leise erzählte er ihr, daß er fort

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