Russka
was der andere sagte. Doch plötzlich war er ganz bei der Sache: Dieser verdammte Kerl sprach über Eudokia. Was sagte er da? Schismatiker? Gefahr? Als Nikita das hörte, begann er zu zittern. Eudokia hatte geplaudert, zwar hinter verschlossenen Türen, mit anderen Frauen; aber immerhin hatte sie die Partei der raskolniki ergriffen.
Als der aalglatte Höfling und Diplomat, der er war, warnte Tolstoj ihn, wenn auch zurückhaltend. Wenn solche Dinge an die falsche Adresse kämen… Als Nikita in Tolstojs unbewegliches Gesicht sah, packte ihn die Wut. Warum erzählte der ihm das alles – war das vielleicht freundlich gemeint? Oder war es eine Drohung? Nikita hatte das entsetzliche Gefühl, wie ein Trottel dazustehen. Zweifellos sprach Tolstoj die Wahrheit. Eudokia war ungehorsam, und dieser Mann machte ihm klar, daß er seine Frau nicht in Schranken halten konnte.
Die beiden waren stehengeblieben. Nikita starrte unsicher zu Boden. Plötzlich blickte er hoch, und die Augen der beiden trafen sich. Wenn Menschen einander nicht gut kennen, können Blicke leicht falsch ausgelegt werden. So erging es den beiden. Tolstoj dachte nichts anderes als: Ach, mein Lieber, auf Weibergeschwätz soll man nichts geben. Doch Nikita sah in den eher spöttischen Augen etwas anderes: Mein Gott, was bist du doch für ein Idiot, und wir beide wissen es.
Da explodierte Nikita. »Ein gemeiner Halunke seid Ihr«, brüllte er. »Glaubt Ihr, ich hätte nicht immer schon gewußt, wer Ihr wirklich seid? Wenn Ihr Klatsch über meine Frau verbreiten wollt, wird Euch das heimgezahlt. Das verspreche ich.« Und dann fügte er sehr leise hinzu: »Seht Euch vor, oder Ihr werdet es bereuen.«
Das war unklug. Nikita fühlte es, bevor er zu Ende gesprochen hatte. Doch die Worte waren nun mal gesprochen, und Nikita ging grußlos davon.
Tolstoj, der dem anderen tatsächlich nur einen Tip hatte geben wollen, mußte in Nikita nun zwangsläufig seinen Feind sehen; vielleicht würde er ihm gefährlich werden. Ob er ihn kaltstellen sollte?
Warum bin ich nur so dumm gewesen, warf Nikita sich nach dieser Auseinandersetzung vor: Die Tolstojs, obwohl nur von niederem Adel, hatten in die Familie der bedeutenden Miloslavskijs eingeheiratet und daher selbst einigen Einfluß.
Nikita versah weiterhin seinen Dienst und gab die Hoffnung nicht auf. Er gewann wichtige Freunde und machte sogar die Bekanntschaft des Großfürsten Golicyn, eines mächtigen, westlich orientierten Adligen, den er als Gönner zu gewinnen hoffte. Von Tolstoj hörte er nichts mehr und strich die peinliche Begegnung im Kolomenskoje-Park aus seinem Gedächtnis.
Nikita inspizierte im Frühsommer des Jahres 1682 eine seiner entfernt liegenden Besitzungen, als ihn die Nachricht von Zar Fedors Tod erreichte. Der Zar selbst hatte keine Kinder, also gab es zwei mögliche Thronfolger: den glücklosen Ivan, Fedors Bruder aus Aleksejs erster Ehe, und den hübschen jungen Peter, erst neun Jahre alt, Sohn der geborenen Naryschkin. Doch Ivan aus dem Miloslavskij-Clan hatte noch eine Schwester. Fürstin Sofija war durchaus keine Schönheit – sie war dick, hatte einen zu großen Kopf und Haare im Gesicht –, doch sie war intelligent und über die Maßen ehrgeizig. Sie hatte nicht die Absicht, ihr Leben in Abgeschiedenheit zu verbringen oder zuzulassen, daß die Naryschkins ihre, Sofijas, Miloslavskij-Verwandte hinausdrängten.
Es gelang ihr, eine plötzliche Revolte der mächtigen Moskauer Strelitzen-Regimenter zu nützen und die Naryschkins im Kremlpalast ermorden zu lassen. Es war ein entsetzliches Schauspiel, das der junge Peter und seine Mutter mit eigenen Augen ansehen mußten. Darauf ließ sie Peter und Ivan zu gemeinsamen Zaren ausrufen, und sich selbst machte sie zur Regentin. Die seltsame Krönungszeremonie fand Ende Juni statt. Auch Nikita Bobrov war anwesend. Die beiden Zaren in goldglänzenden, perlenbestickten Roben, der eine fast blind und geistig verwirrt, der andere noch ein Kind, wurden feierlich mit den Monomachmützen gekrönt. Hinter ihnen stand Sofija. Zum erstenmal in der russischen Geschichte hielt eine Frau die Zügel der Macht in der Hand. Es gab in ganz Rußland keinen kultivierteren Mann als Sofijas neuen ersten Minister, Fürst Golicyn. Er war der erste jener kosmopolitischen russischen Aristokraten, die in den nächsten zwei Jahrhunderten selbst die europäischen Granden beeindrucken sollten. Er empfing Ausländer in seinem Haus, sogar die gefürchteten Jesuiten. Trotzdem war er
Weitere Kostenlose Bücher