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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sein.
    Am dritten Tag seines Aufenthaltes bekam er hohes Fieber. Die Mönche glaubten schon, er müsse sterben. Aber er erholte sich wieder. Eine Woche später sprach er lange mit dem Abt. Danach erfuhren die Mönche zwei Dinge: Als Daniel im Fieber lag, hatte ihm eine Stimme den Auftrag erteilt, in Russka zu bleiben. Zweitens war er Ikonenmaler und wollte in der Stadt eine Unterkunft suchen und sich mit den ansässigen Malern zusammentun. Der Abt hatte keine Einwände dagegen erhoben. So lebte Daniel von nun an in Russka.
    Er war ein guter Handwerker: Nicht nur, daß er Ikonen malte, er war ein hervorragender Tischler. Und als Mann von beispielhafter Frömmigkeit zeigte er sich auch. Er hielt die Fastentage streng ein und verbrachte täglich einige Stunden kniend im Gebet, er befolgte das Alte Testament und aß keine der darin verbotenen Fleischsorten wie Kalb, Hase oder Kaninchen. Sonntags ging Daniel in die kleine Kirche in Sumpfloch, wo Silas die Messe las. Da er aber auch die Klostergottesdienste besuchte, dachte sich niemand etwas dabei.
    Die Bewohner gewöhnten sich rasch an den seltsamen, stillen Burschen. Sie kamen zu dem Schluß, daß er irgendwie ein heiliger Mann sei, und übernahmen Silas' Ansicht, der verschiedentlich Gespräche mit Daniel geführt und erklärt hatte: »Er ist ein gottesfürchtiger Mann; er hat die wahre blagotschestje.« Zwei Jahre lang kam der merkwürdige Mensch jede Woche nach Sumpfloch, doch er hielt sich abseits und sprach kaum zu jemandem. Immerhin stellten die Bewohner mit Genugtuung fest, daß er das Zweifingerkreuzzeichen machte.
    1684
    Was über Nikita hereinbrach, betrachtete er als Katastrophe. Wahrscheinlich wäre es nicht dazu gekommen, hätte er sich nicht mit jenem verdammten Tolstoj überworfen.
    Dabei war es der Familie seit der Thronbesteigung der Romanovs gut ergangen. Der erste Romanov hatte Nikitas Großvater doppelt belohnt. Er gestattete ihm, den alten Besitz, der unter Ivan dem Schrecklichen als pomeste, als nicht erblicher Landbesitz, ausgewiesen war, nun als erbliche votschina zu führen, die ihm nicht wieder genommen werden konnte. Überdies teilte der Zar ihm weitere votschina von dem fruchtbaren Land neben dem Kloster zu. Nikitas Heirat hatte zusätzlichen Landbesitz gebracht. Seine Bauern leisteten drei Tage barschtschina, also Fronarbeit, und bezahlten eine bescheidene Pacht in Bargeld und Naturalien. Außerdem hatte Nikita kleinere Landparzellen südlich der Oka in der Provinz Rjazan erworben, wo seine Verwalter Knechte beschäftigten. Die fruchtbaren Böden lieferten reiche Erträge. Die Bobrovs hatten im hierarchischen Gefüge einen beachtlichen Platz erreicht, und obwohl der Zar den alten mestnitschestvo, die Rangplatzordnung, abschaffte, die die Würde einer Familie in einer Mischung aus Abstammungs- und Dienstrechten festlegte, erreichte Nikita die begehrte Aufnahme in die Moskauer Aristokratie. Damit lebte er in Moskau in der Umgebung des Zaren und träumte sogar von der Kandidatur zum Provinzgouverneur.
    Nachdem Nikita und seine Frau ihre erstgeborenen Kinder schon als Säuglinge verloren, war ihnen – Gott sei's gedankt – im Jahre 1668 ein strammer und gesunder Junge geboren worden, dem sie den Namen Prokopios gaben.
    Als Nikita sich den Fünfzigern näherte, war er bei bester Gesundheit und eine hochgestellte Persönlichkeit. Nun brauchte er noch die wohlwollende Aufmerksamkeit des Zaren, um nächstens Provinzgouverneur zu werden.
    In der Hauptstadt hatte sich einiges geändert. Der Hof Aleksejs war kosmopolitischer, mehr nach Westen ausgerichtet. Bedeutende Männer wie Matveev, ein Freund des Zaren, pflegten westliche Sitten; so manches Mitglied des innersten Hofzirkels rasierte sich sogar den Bart ab.
    Matveev schätzte Nikita und wurde sein Mentor. Und obwohl Nikita einen gewissen Argwohn gegen alle Ausländer hegte, so trug er doch gelegentlich statt seines Kaftans einen polnischen Mantel. Er hörte in Matveevs Haus deutsche Musiker spielen, und im Jahr 1673 hatte er sogar seine Frau überredet, eine vom Zaren protegierte neue Vergnügungsart, ein Schauspiel, anzusehen. Allerdings hatte die Gattin der Sache nichts abgewinnen können. Eudokia Petrovna Bobrova – Petrovna nach dem Vornamen ihres Vaters und Bobrova nach dem Familiennamen des Ehemannes – war eine körperlich imposante Erscheinung, schwarzhaarig und untersetzt. Sie dachte und lebte streng konservativ und war sich ihres Reichtums und der hohen Stellung ihres verstorbenen

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