Russka
ein echter Russe. Es gab keine noblere oder ältere Familie als die seine. Es ging das Gerücht, daß Golicyn Sofijas Liebhaber sei. Nikita wußte nichts davon. Er wußte nur, daß Golicyn mächtig war. Und ihm gewogen, dachte Nikita. Als er aufgefordert wurde, sich beim Fürsten im Kreml einzufinden, hegte er daher die Hoffnung, es könne sich um gute Neuigkeiten handeln. Und als Golicyn auf ihn zukam, sah Nikita, daß er lächelte. Anstelle eines Kaftans trug Golicyn einen schmalgeschnittenen polnischen Mantel, von oben bis unten durchgeknöpft. Er hatte einen sorgfältig gestutzten Spitzbart. Er nahm Nikita vertraulich beim Arm und führte ihn beiseite.
»Wißt Ihr, mein Freund, ich hätte Euch gern als Provinzgouverneur gesehen«, sagte er leise. »Ich hatte es gehofft, wie gesagt. Aber leider ist das nicht möglich. Die Gemeindeverwaltung in Rußland ist, wie Ihr wißt, alles andere als perfekt.«
Bei aller Nervosität konnte Nikita bei dieser Untertreibung ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Folglich müssen wir uns auf die Gouverneure absolut verlassen können«, fuhr der Fürst fort. »Deshalb macht auch der leiseste Makel eines Kandidaten eine Ernennung leider unmöglich.« Nach einer Pause fuhr er fort. »Ihr wißt auch, daß es derzeit eine der vordringlichsten Aufgaben jedes Gouverneurs in Zusammenarbeit mit der Kirche ist, die Häretiker, diese raskolniki, auszumerzen. An höherer Stelle ist man teilweise der Meinung«, seine Worte kamen sanft, »daß Ihr, solltet Ihr die raskolniki verfolgen, möglicherweise selbst in eine peinliche Lage kommen könntet. Ihr wißt sicher, was ich meine.« Der Fürst lächelte Nikita ermutigend zu. »Ihr dürft nicht verzweifeln, morgen geht es für Euch vielleicht schon wieder aufwärts. Aber im Augenblick kann ich nichts für Euch tun.« Nikita schluckte. Seine Kehle war trocken. »Ich werde Euch stets zu Diensten sein«, erklärte er mit aller Würde, die ihm zu Gebote stand.
»Ihr werdet es wohl vorziehen, in Moskau zu wohnen«, meinte Golicyn, »aber es steht Euch jederzeit frei, Eure Besitzungen zu besuchen.«
Das hieß: Man wollte ihn nicht in Moskau. »Kommt, mein lieber, ich bringe Euch zur Tür«, sagte Golicyn freundlich.
Erst jetzt bemerkte Nikita, daß etwa dreißig Personen sie beobachteten. In einer Ecke standen zwei von den Miloslavskijs mit ausdruckslosen Gesichtern, und daneben stand Peter Tolstoj. Da begriff Nikita, daß das so etwas wie seine gesellschaftliche Hinrichtung gewesen war.
So hatte der vornehme Vorfahr des berühmten russischen Romanciers mit Nikita Bobrov abgerechnet.
Nikita war erledigt, seine Karriere zu Ende. Was sollte er nun machen? Wie sollte er nun die Interessen der Familie weiter verfolgen? Und was sollte mit Prokopios geschehen? Er war ein liebenswerter Junge, sah seinem Vater auffallend ähnlich mit der gleichen breiten Stirn und dem schwarzen Haar. Er war leicht zu begeistern – zu leicht wahrscheinlich. Doch seine Begeisterung wirkte ansteckend und verlieh ihm großen Charme. Es wäre schlimm, dachte der Vater, wenn der Schatten, der über der Familie liegt, ihm eine erfolgreiche Laufbahn verwehren würde. Eudokia wußte Rat. »Von Fürstin Sofija haben wir nichts zu erwarten«, meinte sie. »Unsere einzige Hoffnung liegt bei der nächsten Regierung. Prokopios soll in Peters Dienste treten.« Peter? Würde er, trotz Sofija und den klug vorausplanenden Miloslavskijs, je an die Macht kommen?
»Er ist unsere einzige Möglichkeit«, wiederholte Eudokia. »Überlasse es nur mir.« Bald darauf wurde sie zu Hofe gerufen und kam mit der Nachricht zurück, Nikita solle bei dem jungen Peter vorsprechen, und zwar in einem kleinen Ort außerhalb der Hauptstadt, in Preobrazenskoe.
Zwei Monate später, als die Blätter fielen, kamen Nikita Bobrov und Eudokia nach Russka.
Prokopios war glücklich in Peters Gefolge untergebracht. Und da es für Nikita keine Verwendung in Moskau gab, hatte er sich entschlossen, seine Besitzungen aufzusuchen. Sein Haus mußte instand gesetzt werden, und er bestellte unverzüglich Arbeiter. Dann besuchte er das Kloster und inspizierte auch Sumpfloch sorgfältig. Eudokia machte sich ebenfalls nützlich und entdeckte, nach ihren eigenen Worten, den richtigen Mann für die komplizierten Tischlerarbeiten im Haus.
»Er ist Ikonenmaler«, erklärte sie, »aber auch ein großartiger Tischler. Du mußt ihn und seine reizende Frau kennenlernen, Nikita. Er heißt Daniel.«
Nikita lernte sie kennen. Der Mann
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