Russka
gearbeitet. In den vergangenen Jahren war Prokopios melancholisch geworden, aber nicht nur der Krieg war daran schuld. »Es ist auch mein Land«, meinte er traurig. Warum nur konnte man niemals Ordnung in dieses weite, rückständige Land bringen? Manchmal machte Prokopios sich Gedanken, ob überhaupt jemand wirklich hinter dem Zaren stand. Das Volk jedenfalls nicht. Selbst in der etablierten Kirche – ganz abgesehen von den raskolniki – hielten ihn viele für den Antichristen. Der Haß der reichen Kaufleute gegen ihn wurde immer größer, da er sie buchstäblich bis zum Ruin besteuerte. Die Adligen und andere Bürger, die Peter zu einem Leben in St. Petersburg gezwungen hatte, wären nur zu gern wieder zu den Annehmlichkeiten Moskaus zurückgekehrt. Ihre Häuser in der neuen Stadt kosteten sie ein Vermögen, und die Preise für die von weit her eingeführten Lebensmittel waren übermäßig hoch.
Im Süden hatte es zwei Kosakenaufstände gegeben; einen unten am Kaspischen Meer bei Astrachan und einen am Don, geführt von Bulavin, und letzterer war fast so bedeutsam wie jener unter Stenka Razin.
Wer sollte Peter schätzen? Männer, die waren wie er selbst, wahrscheinlich. Jene, die ihm dienten, die neuen Aristokraten. Peter schuf einen neuen Status in Rußland, der sich auf die Dienstpflicht gründete, durch die jeder Mann nach oben gelangen konnte. Er vergab nun Titel auf der Dienstbasis, und so war aus dem Gauner Menschikov, der früher Gebäck auf der Straße verkauft hatte, ein Fürst geworden!
Ihm, Prokopios, war es in Peters Diensten allerdings auch gut ergangen. Er hatte nur Furcht vor zwei Dingen: Einmal Peters Gunst zu verlieren, zum zweiten Peter selbst zu verlieren. »Wenn Peter nicht mehr da ist, weiß ich nicht, was mit uns geschehen wird. Von seinem Sohn habe ich nichts zu erwarten«, lamentierte er.
Der Zarevitsch Aleksej! Er war nicht beliebt, aber immerhin der Thronerbe. Niemand wußte, was er vorhatte. Er sprach nicht viel, aber in diesem großen, düsteren jungen Mann schwelte ein stummer Groll, und das war erschreckend. Er war nun zwanzig Jahre alt. Nachdem Peter die Mutter des Jungen in ein Kloster geschickt hatte, gab er den Sohn in die Obhut deutscher Erzieher und später unter Menschikovs Aufsicht. Danach hatte er ihn für militärische Aufgaben vorgesehen, doch ohne Erfolg. Sein einziges Vergnügen war offensichtlich das Trinken.
Prokopios konnte dem Jungen dieses Verhalten in keiner Weise verübeln, denn Peter behandelte seinen Erben nicht nur grob, sondern er hatte sich auch noch eine neue Gemahlin genommen, eine ehemalige Magd aus Livland, die in Kriegsgefangenschaft geraten war und ihm mehrere Kinder schenkte. Sie hatte ihren Namen in Katharina geändert und wurde zur Kaiserin gekrönt. Aleksejs Mutter, die er nicht sehen durfte, war immer noch in dem Kloster in Suzdal eingesperrt. Peter plante, den Jungen ins Ausland zu schicken. Er wollte eine deutsche Gemahlin für ihn suchen. Prokopios hatte vieles zu bedenken. Der Nordische Krieg war an einem entscheidenden Punkt angelangt. Seit dem vergangenen Jahr belagerte Scheremetev mit dreißigtausend Mann Riga. Prokopios wollte sich dorthin begeben, bevor die Stadt fiel. Zuerst aber mußte er noch diese lästige Sache hinter sich bringen. Er ging am Fluß entlang. Wo war die Stelle, wo sie ihren Verwandten gesehen hatte, um den er sich nun kümmern sollte? Dabei hatte es den Anschein gehabt, als würde Marjuschka ihm keine Probleme mehr machen. Schließlich war sie verliebt und würde bald heiraten. Sie hatte ihn gesehen und sich sofort wohl und glücklich gefühlt, es war ihr leicht ums Herz geworden. Und wie durch ein Wunder war es dem jungen Mann ebenso ergangen. Da gab es nicht viel zu reden.
Er war ein Bauer von einem der Bobrov-Güter westlich von Moskau. Man hatte ihn im vergangenen Monat mit einem halben Dutzend Proviantschlitten nach St. Petersburg geschickt. Auf Prokopios' Einwand, daß ihr Auserwählter ein Bauer sei, hatte Marjuschka nur gesagt: »Das macht mir nichts aus, ich bin das Landleben gewohnt.«
Da hatte Prokopios aufgeatmet. Marjuschka in ihrer Unschuld hatte nicht bemerkt, daß er nur gefürchtet hatte, sie werde ihn um die Freiheit dieses nützlichen jungen Burschen bitten. »Also gut. Wenn du das willst, gehst du im Frühjahr ins Dorf zurück, sobald meine Frau einen Ersatz für dich gefunden hat«, entschied er. Er übergab ihr ein Drittel des Geldes, das Andrej für sie zurückgelassen hatte. Nicht, daß er
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