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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gebildete Männer gepflegtes Russisch und Französisch sprachen, hatte Alexej, der nie eine höhere Schulbildung genossen hatte und noch fast im Kindesalter ins Regiment eingetreten war, sein Französisch von fünftklassigen Erziehern und Russisch von den Leibeigenen in Russka gelernt. Das Resultat war ziemlich dürftig. Sergej faßte es so zusammen: »Er spricht Französisch wie einer aus der Provinz und Russisch wie ein Dienstbote.« Sergej mußte Alexejs Grammatik korrigieren, damit ein Satz seinen Sinn bekam. »Ich spreche gut genug für einen einfachen Soldaten«, grollte Alexej. Olga sah, daß er sich linkisch vorkam. Trotzdem waren sie zufrieden mit ihrer »Hamlet«-Inszenierung, und nun wollten sie als nächstes »Romeo und Julia« versuchen. Eines Nachmittags, als Sergej und Ilja an ihrer Übersetzung arbeiteten, beschloß Olga, mit dem jungen Karpenko und Pinegin auf der niedrigen Hügelkette hinter dem Haus spazierenzugehen. Das Wetter war strahlend schön. Die Silberbirken glänzten in der Sonne und warfen gesprenkelte Schatten. Karpenko schickte Olga zwar bewundernde Blicke hinüber, doch er war zu schüchtern, um viel zu sprechen. Wie üblich trug Pinegin seinen weißen Uniformrock und paffte seine Pfeife. Nach zwei Wochen ständiger Konversation mit Sergej empfand Olga das Schweigen des Soldaten als eher angenehm.
    Sie versuchte, Karpenko aus sich herauszulocken, und erfuhr, daß er aus der Provinz Poltava südöstlich von Kiev kam und aus einer alten Kosakenfamilie stammte. Auch er hoffte, sich einen literarischen Namen zu machen. Durch Olga ermutigt, erzählte der junge Kosak schließlich von seiner geliebten Ukraine. »Es ist eine andere Welt dort im Süden«, bekannte er. »Das Leben ist einfacher. Wenn wir Land brauchen, pflügen wir sogar jetzt noch einfach ein Stück der leeren Steppe um, die kein Ende hat.« Pinegin nickte nachdenklich und bestätigte: »Es ist tatsächlich so. Ich bin selbst dort gewesen.«
    »Jetzt sind Sie dran, Fjodor Petrovitsch«, sagte Olga leise. »Sie sagen, Sie sind im Süden gewesen. Was können Sie uns darüber berichten?«
    »Ich kam durch die Ukraine«, antwortete er. »Aber ich habe weiter südlich gedient, im Kaukasus. Wollen Sie darüber hören?«
    »Aber natürlich«, lächelte sie.
    Als er begann, nahm sein schmales, hartes Gesicht einen versonnenen Ausdruck an. Er berichtete über die hohen georgischen Pässe, die nun zu Rußland gehörten, und über jene dahinter liegenden, wo immer noch wilde Stämme lebten. Er beschrieb die Bergziegen, die Schluchten, wo man in dreihundert Metern Tiefe Hirten mit ihren Herden sah, die wogenden Nebel, über denen die Schneegipfel rosa und weiß in den kristallblauen Himmel ragten. »Ich war einmal in der östlichen Steppe«, fuhr er fort, »am Rande der Wüste. Das ist eine merkwürdige Region.«
    Während Olga zuhörte, dachte sie über ihn nach. Irgend etwas war an diesem Mann, etwas Fernes, etwas, das man nicht fassen konnte.
    War er, wie Alexej meinte, gefährlich? Wenn das wirklich so war, fand sie das seltsam reizvoll.
    Mitten in diese Gedanken hinein erschien Sergej auf dem Weg. »Die Arbeit ist getan«, rief er. »Ich bin Romeo, und du bist Julia.« Dann flüsterte er, und sie hoffte, daß Pinegin es nicht hörte: »Hat er dich sehr gelangweilt?«
    Wenn er es gehört hatte, so reagierte er jedenfalls nicht. Sie gingen zu viert zurück.
    Mischa Bobrov beobachtete die Erwachsenen. Die junge Arina war bei ihm. Es war ein heißer Tag gewesen, und alle waren träge. Nun probten sie eine Szene aus »Romeo und Julia«. Mischa hörte, daß sein Vater sich zweimal versprach. Onkel Sergej mußte ihn verbessern. Aber es war wohl nicht so schlimm, denn Onkel Sergej lachte dabei. Aber sein Vater war rot angelaufen. »Es ist wunderschön, Serjoscha«, sagte Olga schließlich, »aber genug für heute. Ich muß mich ausruhen.«
    »Tee«, rief Sergej der jungen Arina zu. »Wir möchten Tee.« Während das Mädchen ins Haus ging, trat Mischa zu Onkel Sergej. »Na, mein kleiner Bär? Was können wir für dich tun?« fragte der und fuhr Mischa mit der Hand durch den Schopf. Da wandte der Vater sich ihm zu. Er hatte unvermittelt gesagt, er wolle einen Spaziergang machen. Da sich ihm niemand anschließen wollte, fragte er seinen Sohn, der gerade neben Sergej stand: »Nun, Mischa, kommst du mit?«
    Das Kind blickte zögernd zu Sergej auf, es war nur eine winzige Geste. Aber sie genügte. Olga sah, wie Alexej leicht zusammenzuckte, dann

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