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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Dessen Aufgabe war klar definiert: Er hatte gründlich durchzugreifen. Der Zar hielt Reformen zur rechten Zeit für durchaus angebracht; doch bis dahin durfte es keine Dekabristen mehr geben. Benckendorffs Gendarmen waren überall präsent. Insbesondere hatte die Abteilung ein wachsames Auge auf enthusiastische junge Herren mit mangelndem Respekt vor der Autorität – wie, zum Beispiel, Sergej.
    Tatsächlich hatte alles mit Puschkin, dem Helden aus Sergejs Jugendzeit, begonnen. Puschkin wurde allmählich bekannt. Einige seiner ersten brillanten Schriften waren bereits veröffentlicht. Die »Ode an die Freiheit« hatte den jungen Dichter schon in Schwierigkeiten mit den Behörden gebracht. Der Zar hatte Benckendorff persönlich beauftragt, das Werk Puschkins zu zensieren. Es war nicht weiter verwunderlich, daß Sergej, den es gelüstete, mit seinem Idol im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, eilends auch selbst etwas Schockierendes produzierte.
    Sergej Bobrovs Gedicht »Der Feuervogel« ging auf Kosten des Dichters in Druck. Dieses Werk war – müßig zu erwähnen – ein Vorbote der Freiheit. Schon nach zwei Tagen, die Tinte war kaum getrocknet, hatte Benckendorff das Gedicht des unbekannten Autors beschlagnahmt.
    Das Vorgehen der Dritten Abteilung war derart schnell, daß Sergej eine Woche darauf den Befehl erhielt, sich unverzüglich auf den Familienbesitz in Russka zu begeben und bis auf weitere Anordnungen dort zu verbleiben. Und da war er nun. »Hier ist ein Brief für dich, Alexej«, sagte Sergej. Er holte ihn aus den Tiefen seines Mantels. Der Brief war von Benckendorff persönlich. Alexej nahm ihn wortlos entgegen. Außer seinem Diener hatte Sergej einen sympathischen jungen Mann namens Karpenko aus der Ukraine mitgebracht, den er in St. Petersburg kennengelernt hatte.
    Alexej bemühte sich, freundlich zu sein. Der Brief hatte ihn einigermaßen besänftigt.
    Wir glauben, daß der junge Mann ein harmloser Bursche ist Es wird ihm jedoch nicht schaden, wenn er sein Mütchen eine Weile auf dem Lande kühlen kann. Ich weiß, mein lieber Alexej Alexandrevitsch, daß Sie ihn in Ihre väterliche Obhut nehmen werden.
    Alexej war fest entschlossen, dieser Bitte nachzukommen. Doch gegen Sergejs Fröhlichkeit konnte er nichts unternehmen. Sergej nahm alles auf die leichte Schulter. Niemand konnte seiner guten Laune widerstehen.
    Er begann sogleich die alte Arina zu necken. »Meine Liebe, es geht nicht, daß so eine Alte wie du, die den Kopf voll von Märchen hat, sich um den jungen Herrn Mischa kümmert. Er braucht eine englische Gouvernante. Das hat man heutzutage.« Mischa war fasziniert von diesem wunderbaren Onkel, der Verse schrieb und lustige Zeichnungen machte. Sergej nannte ihn »mein kleiner Bär«. Das Kind folgte ihm auf Schritt und Tritt.
    Karpenko war zwanzig Jahre alt, klein, dunkel, hatte feine Gesichtszüge und war sehr schüchtern. Offensichtlich war er Sergej sehr zugetan, der liebevoll mit ihm umging. Wenn Sergej ihn dazu ermutigte, konnte er alle Menschen – vom ukrainischen Bauern bis zum Zaren – großartig imitieren. Karpenko brachte Mischa bei, wie ein kleiner Bär zu tanzen.
    Dem kleinen Jungen kam es nun so vor, als befinde er sich nach dem kalten Winter und dem Tod seiner Mutter in einer seltsamen neuen Welt voll von herrlichem Sonnenschein, die ihn glücklich machte. Er fand auch die junge Arina mit ihrem eher schwerfälligen Körper schön. Ihre blauen Augen strahlten vor Freude, wenn sie Onkel Sergej oder Karpenko sah. Sergej gegenüber war sie ein wenig schüchtern, aber der dunkle Ukrainer durfte schon einmal den Arm um sie legen. Onkel Sergej war einfach wunderbar, daran gab es keinen Zweifel. Stundenlang unterhielt er sich mit dem schlauen Onkel Ilja, oft auf französisch.
    Wenn sie alle durch die Birkenallee hinter dem Haus spazierten, bemerkte Mischa des öfteren, daß Karpenko versuchte, neben Tante Olga zu gehen. Einmal hörte er, wie sie zu Onkel Sergej sagte: »Dein Freund ist in mich verliebt«, und dann lachte sie silberhell. Und da war noch Pinegin mit seiner Pfeife und in dem weißen Uniformrock. Er war immerzu da, beobachtete schweigend, hin und wieder lächelte er ein wenig. Und doch hatte er etwas an sich, das dem Kind angst machte. Als sie einmal alle miteinander auf der Veranda saßen, fragte Mischa ihn: »Bist du ein Soldat?« Nach der bejahenden Antwort fragte er weiter: »Und Soldaten töten Menschen?« Pinegin nickte. »Er tötet Leute!« erklärte der kleine Kerl

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