Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Kosakengeschichte?« schlug sie vor. Er errötete vor Freude, denn er verstand genau, was Olga wollte. Er war froh, etwas für Olga und Sergej tun zu können, für die beiden Menschen, die er liebte. Also begann er mit leiser Stimme zu sprechen. Karpenko war außerordentlich stolz auf seine Kosakenvorfahren. Er schlug alle in seinen Bann mit Geschichten aus alten Zeiten, von wilden Kosaken, die über die offene Steppe galoppierten, und von den Überfällen vom Zaporoger Lager aus, den mächtigen Dnjepr entlang. Er redete sich selbst in Begeisterung, doch als er zum Schluß kam, seufzte er betrübt: »Die Kosaken sind jetzt alle gute Russen geworden.«
    Olga konnte es ihm nicht verdenken, daß er der Vergangenheit nachtrauerte.
    Vor allem Ilja war tief beeindruckt. »Mein Gott«, rief er, »du erzählst diese Geschichten so großartig, daß du sie aufschreiben solltest. Damit kannst du dir einen Namen als Schriftsteller machen. Hast du schon darüber nachgedacht?«
    Karpenko errötete vor Stolz. Ja, er hatte sich das bereits überlegt. Dann fügte er hinzu: »Wenn überhaupt, dann will ich die Geschichten in ukrainischer Sprache schreiben. Sie klingen dann tatsächlich noch schöner.«
    »Auf ukrainisch?« fragte Ilja. »Bist du sicher?« Es gab nämlich keine Literatur im ukrainischen Dialekt, außer einer lustigen Versdichtung, obwohl der dem Russischen nah verwandt war. »Verzeih«, warf Alexej ruhig ein, »aber die Ukraine ist ein Teil von Rußland. Du solltest also auf russisch schreiben!« Seine Stimme klang nicht unfreundlich, aber sehr bestimmt. »Außerdem wird Ukrainisch nur von Bauern gesprochen«, fügte er mit einem abschließenden Achselzucken hinzu. Der kleine Kosak begriff sofort. »Es stimmt – Ukrainisch ist eine Bauernsprache«, räumte er bereitwillig ein. »Aber genau deshalb möchte ich sie verwenden – ich möchte ja über das Landleben schreiben, verstehst du?«
    »Ganz recht!« Sergej wollte seinen Freund unbedingt verteidigen. »Schließlich gibt es unsere russische Literatur auch erst seit einer Generation. Warum sollten die Ukrainer sich nicht eine eigene schaffen? Oder betrachtet es der Zar als eine weitere Wohltat für die Ukrainer, wenn er ihre Literatur im Keim erstickt?« Olga hielt den Atem an: Das war eine Beleidigung. Alexej wurde blaß, doch er bemühte sich, Sergej zu ignorieren. Dagegen richtete er an Karpenko eine heikle Frage: »Lehnt das ukrainische Volk die Herrschaft des Zaren ab?«
    Der Kosak lächelte vorsichtig. Er hätte sagen können, die ukrainischen Bauern hegten nicht gerade eine Vorliebe für Rußland; er hätte erwähnen können, daß die Städte durch das Programm der Russifizierung ihre frühere Freiheit einbüßten. Aber er ging diplomatisch vor. »Als Napoleon einmarschierte, hatte der Zar keine loyaleren Truppen als die Kosaken«, erinnerte er. »Und die Landbesitzer östlich des Dnjepr, woher ich komme, waren seit den Zeiten Bohdans froh über den Schutz von russischer Seite. Westlich des Dnjepr aber, wo der polnische Einfluß stärker ist, wird die russische Herrschaft zwar akzeptiert, sie ist jedoch nicht besonders beliebt.« Das war eine objektive Einschätzung, und selbst Alexej hatte keine Einwände. Im Augenblick schwieg er. Ohne nachzudenken, sprach Karpenko weiter. »Wißt ihr, es ist komisch; ungefähr zehn Meilen von hier gibt es einen Ort, wo meine Familie früher einmal einen Hof besaß. Er hat jetzt einen neuen Namen, aber zur Zeit Peters des Großen hieß er Sumpfloch.«
    Niemand hatte je davon gehört. »Es würde mich interessieren, was das für ein Ort ist«, sagte Olga.
    Und nun machte Karpenko einen großen Fehler. »Zur Zeit ist es eine Militärkolonie«, erklärte er zögernd. Sofort wußte er, daß er das nicht hätte sagen sollen. Alexej saß stocksteif da. Sergej schnitt eine Grimasse. Da lächelte Alexej plötzlich. »Eine Militärkolonie«, meinte er triumphierend. »Das ist ein grandioser Fortschritt.«
    Bei diesen Worten zuckte der Kosak zusammen. Von allen Neuerungen, die die Regierung des Zaren in der Ukraine vorgenommen hatte, waren die Militärkolonien die am meisten gehaßte. Es gab etwa zwanzig davon, jede groß genug, um ein ganzes Regiment zu beherbergen. Da Karpenko nichts einfiel, was er zugunsten dieser fürchterlichen Einrichtungen hätte sagen können, schwieg er und biß sich auf die Lippen.
    Sergej dagegen, der innerlich kochte, hatte keine derartigen Hemmungen. »Wenn es nach Alexej ginge, wäre ganz Rußland eine

Weitere Kostenlose Bücher