Russka
einzige Militärkolonie«, sagte er sehr ruhig. »Wie Ivan der Schreckliche und seine opritschnina, nicht wahr, Alexej?« Alexejs Gesicht war wie versteinert. »Junge Leute sollten von Dingen reden, die sie verstehen«, sagte er höhnisch, »wie, zum Beispiel, vom Verseschmieden.« Zu Pinegin gewandt, fuhr er fort: »Wenn das ganze Reich wie eine Militärkolonie regiert würde, ginge alles sehr viel reibungsloser.«
Sergejs Stimme klang schneidend. »Du willst doch wohl nicht behaupten, Alexej, daß beim Militär alles reibungslos geht?« Es folgte Stille. Man hätte fast annehmen können, Alexej hätte diese Bemerkung überhört, doch dann wandte er sich an Pinegin und meinte in gleichgültigem Ton: »Mir ist so, mein Freund, als hätte ich irgendwo einen Hund kläffen hören.« Sergejs Gesicht lief dunkelrot an; dann brüllte er los: »Wißt ihr, wie unsere elenden Soldaten lernen, eine Salve zu schießen? Ich will es euch sagen: Alle zusammen! Perfekte zeitliche Übereinstimmung. Es gibt nur ein Problem – sie lernen nicht, auf etwas zu zielen. Das ist Tatsache. Ich habe es gesehen. Niemand kümmert sich darum, wohin sie schießen, solange sie nur alle auf einmal feuern. Die Chancen, daß eine russische Salve den Feind trifft, sind gleich Null.
Und dies ist die militärische Tüchtigkeit meines Bruders«, schnaubte er verächtlich.
Alexej verlor seine Beherrschung. Es sah so aus, als wolle er Sergej schlagen.
Nun aber sprach Pinegin. Er wirkte gefaßt, doch seine Augen funkelten, und da war etwas Bedrohliches an ihm, als er fragte: »Du beleidigst die russische Armee?«
»Oh, viel mehr als das«, gab Sergej zurück. »Ich kritisiere das gesamte russische Reich, das glaubt, wenn man dem menschlichen Geist nur eine Ordnung aufzwingt – gleichgültig, wie absurd oder grausam diese ist –, so ist etwas erreicht worden. Ich kritisiere den Zaren und diesen üblen Benckendorff mit seinen idiotischen Gendarmen und seiner Zensur. Ich verachte eure Militärkolonien, wo versucht wird, aus Kindern Maschinen zu machen; ich verachte die Einrichtung der Leibeigenschaft, wo ein Mensch zum Eigentum eines anderen wird. Ja, und auf alle Fälle beleidige ich die Armee, die von den gleichen inkompetenten Leuten geführt wird, die dieses riesige Meer von Dummheit und Verderbtheit befehligen, das sich als russische Regierung bezeichnet.« Sergej wandte sich wieder an Alexej: »Nun sage mir, mein tüchtiger Bruder, wie viele Termine für Zielübungen haben russische Soldaten pro Jahr?« Alexej war zu wütend, um zu antworten. Sergej fuhr fort: »Ich werde es dir sagen. Drei Termine pro Jahr. So werden deine Leute ausgebildet, bevor ihr gegen die Türken loszieht.« Er lachte unbändig. »Zweifellos setzt du diese militärische Organisation sehr wirkungsvoll zum Ruin des Besitzes hier ein, vor allem jetzt, nachdem die Suvorins uns nicht länger stützen!«
»Nun, Bobrov«, warf Pinegin mit einem trockenen Lachen ein, »wenn dein Bruder mir dies in unserem Regiment gesagt hätte, hätte ich wahrscheinlich seinen Kopf als Zielscheibe benutzen müssen. Aber lassen wir das! Spielen wir lieber Karten.« Gott sei Dank, daß Pinegin hier ist, dachte Olga. Am folgenden Morgen erklärte Alexej, er müsse nach Vladimir reiten und den Gouverneur aufsuchen. Er wollte in einer Woche wieder zurück sein.
»Würdest du hierbleiben, mein Lieber, und auf meinen Bruder aufpassen?« bat er Pinegin.
Mittags war Alexej schon unterwegs. Er hatte einen Brief bei sich, den er vergangene Nacht geschrieben hatte. Er war an den Grafen Benckendorff gerichtet.
Liebte sie ihren Bruder Sergej, fragte sich Olga. Natürlich. Doch der Streit mit Alexej war so unnötig und seine Beleidigungen unverzeihlich gewesen. Am Morgen, als Sergej mit Mischa zum Angeln ging, ließ sie ihn links liegen. Den ganzen Vormittag beschäftigte sie sich mit ihren beiden Kindern.
Am frühen Nachmittag, während die junge Arina die Kinder zu Bett brachte, ging Olga in den Birkenwald oberhalb des Hauses. Da bemerkte sie Pinegin in seiner weißen Uniform allein in der Allee. Sie folgte ihm, und als sie neben ihm war, sagte sie: »Ich schulde Ihnen Dank, Fjodor Petrovitsch.«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Ich stehe Ihnen immer zu Diensten.«
Langsam gingen sie durch die Allee. »Ich bin sehr böse auf Sergej«, seufzte Olga schließlich.
»Verzeihen Sie ihm, er ist noch ein Kind«, sagte Pinegin leise. »Ja, wahrscheinlich haben Sie recht.«
Wieder blickte er sie an.
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