Russka
Romanovs hätten mittlerweile eine eigene Entscheidung getroffen.
Boris hatte einen schärferen Verstand als die beiden Älteren. Er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, aus dem Landbesitzer Geld herauszuholen, aber er sah durchaus auch die Gefahr für sie alle in diesem Plan. »Wir haben schließlich gesehen, was für ein Kerl das ist, Michail Alexejevitsch. Selbst als wir ihm mit dem Gesetz und Sawa Suvorin gedroht haben, weigerte er sich abzureisen. Was hilft es, ihn in den Zug nach Moskau zu setzen, wenn er an der nächsten Station einfach aussteigt und in zwei oder drei Tagen wieder hier ist?« Mischa wußte darauf nichts zu sagen.
»Ich mache mir Sorgen um meine Schwester«, fuhr Boris fort. »Sie ist mit diesem Grigorij nur deshalb zusammen, weil sie keine Mitgift hat. Das ist wegen der Schulden unseres Vaters. Sie sind immer sehr gut zu unserer Familie gewesen; Sie haben für Natalias und meine Erziehung gesorgt. Sehen Sie eine Möglichkeit, uns noch einmal zu helfen?« Mischa runzelte die Stirn. »Woran haben Sie gedacht?«
»Vielleicht könnte ich Popov auf eine lange Reise schicken, so daß er uns hier bestimmt nie mehr belästigt, mein Herr.« Mischa spürte, daß er zitterte. Der Vorschlag war unerhört, und doch stellte er eine Versuchung dar. In diesem Augenblick wünschte er sich nichts mehr auf der Welt, als Popovs unangenehme Anwesenheit ein für allemal zu beenden. »Ich könnte es niemals zulassen…« begann er.
»Natürlich, mein Herr, wir tun genau das, was Sie gesagt haben«, erklärte Boris ruhig. »Wir bringen ihn nach Vladimir… Es erwartet ihn doch niemand, nicht wahr?«
»Nein.« Eine lange Pause trat ein. »Setzen Sie ihn nur in den Zug«, sagte Mischa. »Kommen Sie vor dem Morgengrauen zurück.« Nachdem die Romanovs gegangen waren, saß Mischa Bobrov eine Zeitlang im Salon. Boris' Argument gab ihm zu denken. Wenn Popov spurlos verschwand, konnten tatsächlich Monate vergehen, ehe Nachforschungen angestellt wurden. Und dann… Er schüttelte den Kopf. Es sind immer Leute wie ich, dachte er, anständige Menschen, die gegenüber solch üblen Gesellen wie Popov einfach hilflos sind. Wäre er an meiner Stelle, er würde bestimmt keine Sekunde lang zögern.
In diesem Augenblick erschien Boris Romanov wieder. »Popov ist verschwunden«, sagte er. »Er wurde gesehen, als er durch das Dorf in Richtung Russka ging. Was sollen wir jetzt machen?« Mischa sprang auf. Er lief hinauf, aber als er die Tür öffnete, fand er das Zimmer leer. Dieser Satan! Er ist wahrscheinlich unterwegs, um seine Verbündeten zu warnen oder neue Unruhe zu stiften. Was wird dann Sawa Suvorin machen? »Sie müssen ihn aufhalten«, schrie er, »schnell!«
Doch Boris rührte sich nicht von der Stelle. »Wenn wir ihn heute fangen, ist er morgen wieder hier«, erklärte er gelassen. »Was bezwecken Sie also damit, Michail Alexejevitsch? Und was wird aus meiner Schwester, aus meinem Vater?« Ein paar Augenblicke lang herrschte Stille. Dann murmelte Bobrov:
»Ich gebe Ihrer Schwester eine Mitgift. Auch Ihrem Vater werde ich helfen. Genügt Ihnen das?«
»Ja, mein Herr. Ich danke Ihnen. Und machen Sie sich keine Sorgen – wir bringen den jungen Herrn nach Vladimir. Er wird Sie nie mehr belästigen.« Als er sich zum Gehen wandte, blieb er nur noch einmal kurz stehen. »Er wird sein Gepäck benötigen, wenn er auf Reisen geht. Wenn Sie seine Sachen packen könnten, mein Herr, würden wir sie vor Morgengrauen abholen«, meinte er. Leider kamen die beiden Romanovs zu spät. Als sie das Ende des Waldes erreichten, war Popov schon auf und davon. »Gott weiß, wo er ist«, murrte Timofej. »Wir kriegen ihn auf dem Rückweg.«
Timofej hatte einen Knüppel, Boris ein Messer. Ihr Plan war unkompliziert. »Wenn wir ihn erledigt haben«, erklärte Boris, »versteckst du dich mit ihm im Wald, während ich sein Gepäck auf den Wagen lade. Dann setzen wir ihn einfach auf die Rückbank, als würde er schlafen, und fahren in Richtung Vladimir. Später vergraben wir ihn und sein Gepäck irgendwo.«
Auf der Strecke gab es nichts außer Wald und ein paar Weiler. »Massenhaft Platz, um ihn zu begraben«, meinte Timofej gutgelaunt.
Die Stelle, wo sie ihn abpassen wollten, war die kleine Lichtung an den alten Grabhügeln mit dem ungehinderten Blick aufs Kloster. Selbst wenn Popov erst in der Dunkelheit zurückkehren würde, konnten sie ihn im Sternenschein auf dem Weg erkennen. So richteten sie sich auf Warten ein.
Jevgenij Popov
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