Russka
hatte er nicht nur die Redewendungen entnommen, sondern auch Peters Denkweise.
Die Briefe selbst waren eindeutig. Der eine war an Nikolaj Bobrov gerichtet, seinen angeblichen Mitverschwörer. Darin stand, daß Peter versuchen werde, die Fabrik des Großvaters niederzubrennen, dann verschwinden werde, und daß Druckerpresse und Flugblätter bei Sawa Suvorins Haus sicher versteckt seien. Nun brauchte Popov den Brief nur noch Mischa Bobrov zu geben. Sobald der Landbesitzer Suvorin damit drohte, wäre der zornige alte Industrielle vollkommen machtlos. Falls er mit Nikolajs Verhaftung drohte, mußte auch sein Enkel daran glauben. Der andere Brief war lediglich eine weitere Sicherheit für Popov selbst, der ihm möglicherweise in Zukunft nützen könnte. Er war von Peter an Popov gerichtet, und darin hieß es, daß er beim Aufbruch sei und ihm für seine Gefälligkeiten danke. Vor allem lieferte er Popov eine großartige Entlastung.
Du warst Nikolaj und mir ein guter Freund, und ich weiß, daß Du ihn, genau wie mich, gebeten hast, nicht vom Wege der Reform abzugehen und unsere Ideen einer Revolution nicht aufzugeben. Aber Du begreifst diese Dinge nicht, mein Freund, auch nicht, wie weit sie schon vorangekommen sind. Ich kann nur hoffen, daß wir eines Tages, wenn der neue Morgen anbricht, uns als Freunde wiedersehen, und Du wirst merken, daß alles wirklich zum Besten gewesen ist Adieu.
Popov dachte, er werde noch ein paar Tage in Russka bleiben, den Bobrovs etwas Geld aus der Tasche ziehen und dann abreisen. Doch als er den Hof des Herrenhauses betrat, fand er zu seiner Überraschung sein gesamtes Gepäck vor der Tür. Warum konnte Bobrov nur so sicher sein, daß er in jener Nacht abreisen werde? Und als er nun das Haus betrat, starrte der Landbesitzer ihn sprachlos an wie einen Geist.
Popov betrachtete Mischa nachdenklich. »Überrascht, mich zu sehen?«
Mischa schien erregt. »Nicht im geringsten, mein lieber Junge. Warum sollte ich?«
»Ja, warum?« Warum aber lief Bobrov dunkelrot an und nannte ihn seinen lieben Jungen?
Es fiel Mischa plötzlich ein, daß die Romanovs, nachdem sie Popov nicht gefaßt hatten, jeden Augenblick eintreffen konnten. Was dann? Sollten sie ihn in ihrem Wagen fortschleppen und ihn niedermetzeln? Nein. Erregt blickte Mischa zur Tür. Das war alles, was Popov wissen wollte. Die Lage war eindeutig. Jemand kam, um ihn zu holen, und der Landbesitzer hatte schreckliche Angst. Nun gut, er, Popov, würde seinen Vorsprung halten.
»Wenn ich Suvorin für Sie völlig ausschalten könnte, was würden Sie dafür geben?« erkundigte er sich sanft. Als Antwort auf Mischas verzweifelt-hoffnungsvollen Blick erzählte er ihm von Peter Suvorins Brief an Nikolaj und dessen Inhalt. »Sie haben diesen Brief?« fragte Mischa gespannt. »Er ist versteckt, aber ich kann ihn bekommen – zu einem bestimmten Preis.«
»Wieviel?«
»Zweitausend Rubel.«
»Zweitausend?« Der arme Mann war völlig bestürzt. »Soviel habe ich nicht.«
»Wieviel haben Sie denn?«
»Ungefähr fünfzehnhundert, glaube ich.«
»Nun gut, das reicht.«
Mischa war erleichtert, dann aber wieder voller Angst. »Wenn ich Ihnen das Geld gebe, müssen Sie sofort verschwinden.« Popov lächelte matt. Es mußte so sein, wie er vermutet hatte. Wenn man sich vorstellte, daß dieser Mann den Mut hatte, ihn umbringen zu lassen! Typisch, daß er schließlich in Panik geriet. Laut sagte er: »Sie müssen mir ein Pferd geben. Holen Sie jetzt das Geld«, befahl er.
Eine Viertelstunde später war Popov bereit zur Abreise. Er ritt Bobrovs bestes Pferd. Er hatte fünfzehnhundert Rubel in der Tasche, und Mischa war im Besitz des wertvollen Briefes. Bevor er das Haus verließ, sah er auf den verstörten Landbesitzer herunter. »Nun, leben Sie wohl bis zur Revolution«, sagte er aufgeräumt, dann war er verschwunden.
Eine Stunde danach erschienen die beiden Romanovs in Bobrovo und fragten, ob Popov dagewesen sei. Um sicherzugehen, daß sie Popov nicht folgen würden, behauptete der Landbesitzer, ihn nicht gesehen zu haben.
Das Feuer in Russka zerstörte die beiden Lagerhäuser und vier kleine Reihenhäuser, auf deren Dächer Funken gefallen waren. Erst am folgenden Morgen wurde das Verschwinden von Natalia und Grigorij bemerkt. Stunden später wurden ihre verkohlten Überreste gefunden.
Aufgrund einer Unterredung, die am frühen Morgen zwischen Sawa Suvorin und Michail Bobrov stattfand, wurde das Feuer niemals polizeilich untersucht. Es wurde als
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