Russka
Priester Philipp. Er war etwa im gleichen Alter wie Boris, sehr schlank, rothaarig, mit harten, ausgeprägten Gesichtszügen. Als Boris ihm erzählte, daß seine Familie dem Kloster in Russka eine Ikone, die wunderschöne Rublev, gestiftet hatte, war Philipp begeistert.
»Herr, ich beschäftige mich eingehend mit Ikonen. Da gibt es also eine von Andrej Rublev in Russka? Das wußte ich nicht. Natürlich muß ich sie mir ansehen. Erlaube mir, daß ich dich einmal dorthin begleite. Das wäre sehr liebenswürdig.« Unversehens hatte Boris einen Freund fürs Leben gewonnen. Elena erzählte Boris erst im Juli, daß sie schwanger war. Sie erwartete das Kind zum Jahresende. Boris war natürlich sehr aufgeregt. Elenas Familie gratulierte ihm. Und als er an seinen Vater dachte und daran, daß dieser Sohn ihre edle Linie fortsetzen werde, durchströmte ihn neue Kraft. Er war fest entschlossen, erfolgreich zu sein und den Besitz in gutem Zustand zu übergeben. Elenas Vater hatte gleich außerhalb der Stadt einen Besitz. Sie ging in den Spätsommermonaten oft hinaus, und so war sie auch jetzt bei ihrer Familie. Am folgenden Morgen sollte sie mit ihrer Mutter zurückkehren.
Was, zum Teufel, will Stefan bloß von mir? fragte sich Boris. Er hatte eine Nachricht des Priesters erhalten, in der jener um eine Zusammenkunft ersuchte. Der junge Priester begrüßte Boris mit größter Höflichkeit und bat ihn, die Angelegenheit streng vertraulich zu behandeln; es ging um den Bauern Michail.
Stefan erläuterte in kurzen Worten Michails Dilemma. »Es könnte sein, daß das Kloster ihn dir wegnehmen will. Sie würden einen guten Arbeiter gewinnen, und du würdest deinen besten verlieren – was bedeutet, daß es für dich noch schwerer würde, dich zu behaupten.«
»Er kann nicht gehen!« brauste Boris auf. »Ich weiß genau, daß er die Gebühren nicht bezahlen kann.«
Falls ein Bauer kündigte, hatte er hohe Beträge zu entrichten, über einen halben Rubel – das war mehr als der Gegenwert von Michails Jahresernte. Und Boris hatte recht – Michail hätte es nicht bezahlen können.
»Er nicht, aber das Kloster«, entgegnete Stefan ruhig. So war das! Unlauteres Abwerben eines Bauern, indem man die Austrittsgebühren für ihn übernahm. Wahrscheinlich würde der Mönch Daniel ihm, einem Bobrov, so etwas antun. »Du schlägst also vor, daß ich meinen Bauern einen Teil ihrer Pflichten erlasse?«
»Ein wenig, Boris Davidov. Nur so viel, daß Michail aus dem Gröbsten herauskommt. Er ist ein guter Arbeiter, und ich kann dir versichern, daß er nicht von dir weggehen will.«
»Und warum erzählst du mir das alles?« fragte Boris. Stefan schwieg. Sollte er vielleicht sagen, daß er mit dem wachsenden Reichtum des Klosters nicht einverstanden war, daß Boris und seine junge Frau ihm leid taten? Nein, das konnte er nicht tun. »Ich bin nur ein Priester, ein Zuschauer«, meinte er daher mit einem vorsichtigen Lächeln. »Nehmen wir es also als meine gute Tat für den Tag.«
»Ich werde nachdenken über das, was du mir gesagt hast«, sagte Boris unverbindlich. »Ich danke dir für deine Anteilnahme und die Mühe, die du dir gemacht hast.«
Damit trennten sie sich, und der Priester war überzeugt, dem Bauern und seinem Herrn einen christlichen Dienst erwiesen zu haben. Nachdem er gegangen war, lief Boris nervös im Zimmer auf und ab. Für welch einen Trottel halten sie mich denn? Denkt Stefan vielleicht, ich hätte das listige Lächeln auf seinen Lippen nicht bemerkt?
Es sah vielleicht so aus, als wolle Stefan helfen, doch Boris glaubte nicht daran. Er dachte an die vier Vettern, wie sie am Tage ihrer Ankunft in Russka beieinandergestanden hatten. Nein, er konnte keinem trauen, keinem einzigen – er traute ja nicht mal mehr seiner Frau. Worauf aber war der Priester aus? Er bereitete offensichtlich eine Falle vor. Wenn er Michails Verpflichtungen reduzierte – wer würde davon profitieren? Der Bauer, natürlich, Stefans Vetter. Und Boris hätte weniger Einkünfte, müßte also weitere Anleihen machen und würde damit dem Verlust seines Besitzes an das Kloster einen Schritt näher sein.
Nur in einem Punkt hatte der schlaue Priester wohl die Wahrheit gesagt: Das Kloster könnte versuchen, Michail abzuwerben, falls es den Besitz noch nicht übernehmen könnte. Wie sollte er, Boris, dies verhindern?
Seltsamerweise war es der Priester Philipp mit seiner Leidenschaft für Ikonen, der die Lösung lieferte.
Der Kreml hatte stets wachsenden
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