Russka
etwas Gutes für den unglücklichen Michail bedeuten könne. Der Wein versetzte alle in eine umgängliche Stimmung. Boris erzählte, daß er hier seinen Geschäften nachgehen wolle, und bat Stefan, seinem Freund in der Zwischenzeit das Dorf und das Kloster zu zeigen. Stefan versprach ihm, den Gast am nächsten Tag herumzuführen.
Zwei Tage später war die Falle gelegt, und Boris schickte nach dem Mönch Daniel. »Ich bin in einer höchst schwierigen Lage«, begann er listig. »Es spielt im Grunde keine Rolle, außer im Hinblick auf kürzliche Ereignisse in Moskau.« Er legte eine Pause ein. Der Mönch wußte nicht, worauf Boris abzielte. »Ich beziehe mich auf die Ketzerprozesse«, fuhr Boris aalglatt fort. Diese hatten am 25. Oktober stattgefunden und waren zu einem uneingeschränkten Triumph für den Metropoliten geworden. Die gelieferten Beweise reichten aus für Folter und lebenslange Haftstrafen. Ganz Moskau war entsetzt.
Als treuer Anhänger des Metropoliten war Daniel hoch erfreut. Doch er verstand nicht: Was hatten diese Prozesse mit dem jungen Landbesitzer und seinen Belangen in Russka zu tun? Er blickte Boris fragend an.
»Es sieht so aus, als hätten wir Ketzertum hier, mitten unter uns«, sagte Boris. Dabei pochte er mißbilligend auf die Tischplatte. Daniel starrte ihn an.
Alles lief so einfach ab! Boris war erstaunt, wie glatt und klug der Priester Philipp seine Rolle spielte – damit hatte er nicht gerechnet. Der hinterhältige Bursche hatte sich von dem zuvorkommenden Stefan herumführen lassen und dabei eher harmlose Fragen gestellt. Er hatte die Ikonen gesehen, die auf dem Markt zum Verkauf standen. Er hatte sich auch die großen Felder vor den Klostermauern angesehen. Erst als sie bei Sonnenuntergang vor dem Stadttor standen und hinunter auf das Kloster blickten, war es aus Philipp herausgebrochen: »Welch ein kleines und doch so reiches Kloster!«
»Du denkst, es ist zu reich?« hatte Stefan neugierig gefragt. »Heutzutage muß man vorsichtig sein, mein Freund«, hatte Philipp vage geantwortet.
»Natürlich. Du bist also auf der Seite der Uneigennützigen?« Der Priester aus Moskau hatte zustimmend sein Haupt geneigt. »Und du?«
»Ich auch«, hatte der Priester aus Russka harmlos geantwortet. Schweigend waren sie zu Boris' Haus zurückgegangen, wo sie sich zum Abschied umarmten.
Philipp teilte Boris seine Ansicht mit. »Der Priester gehört zu den Uneigennützigen. Im Augenblick weiß ich nicht, ob er ein Ketzer ist, aber jedenfalls liest er zuviel, und außerdem ist er ein Narr. Es ist nicht abzusehen, in welche Art von Ketzerei er hineingeraten könnte. Was die Ikonen anbetrifft: Es gibt vier verschiedene ketzerische Versionen.«
»Also könnte ich jetzt Nachforschungen anstellen?«
»Ich glaube, das solltest du.«
Der Mönch Daniel hatte still abgewartet, während Boris seinen Gedanken nachhing. »Es sieht so aus, Bruder Daniel, daß die Ikonen, die im Kloster Peter und Paul hergestellt werden, ketzerischen Inhalts sind. Sie werden auf dem Markt unter deiner Aufsicht verkauft. In der gegenwärtigen Lage… könnten das Kloster, zumindest einige seiner Insassen damit in Gefahr geraten.« Daniel wirkte jetzt nervös. »Wir nehmen natürlich gern deinen Rat an.«
»Natürlich«, lenkte Boris ein, »aber wenn es sich um höchste Stellen handelt, wird es doch riskant.«
»Ich fürchte, deine eigene Familie könnte mit dem Geschäft in Verbindung gebracht werden. Dein Vetter Stefan, der Priester. Er ist, du weißt das wahrscheinlich, einer der Uneigennützigen.« Boris sah Daniel erbleichen – trotz des dichten Barts. Seit langem hatte er diesen Verdacht gehegt. »Selbst wenn er das ist – ich bin absolut gegenteiliger Ansicht«, sagte er.
»Das weiß ich so gut wie du. Aber wir beide wissen auch, daß in solchen Zeiten, wenn die Behörden aufmerksam werden… Sie werden dich, die Ikonen und deinen Vetter überprüfen, mit dem du häufig gesehen wirst, und sie werden ein Exempel zum Thema Häresie statuieren.«
Das war die reinste Ironie. Obwohl Mönch und Priester absolut gegensätzliche Ansichten vertraten, ließen sie sich durch saubere Analyse und Synthese wie ein Paar Schurken aneinanderketten.
Es entstand eine lange Pause.
»Wie sollen wir verfahren?« fragte der Mönch vorsichtig. Boris sah gedankenverloren vor sich hin. »Die Frage ist«, überlegte er, »ob ich meinen Freund, einen Priester in Moskau, davon überzeugen kann, daß diese Angelegenheit nicht berichtet zu
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