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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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werden braucht. Er ist ein Fanatiker.«
    »Sollte ich vielleicht mit ihm sprechen?«
    »Das wäre unklug. Er würde es als Schuldeingeständnis werten.« Boris schwieg einen Augenblick. »Ich muß auch meine eigene Position berücksichtigen.« Es wurde still im Zimmer. »Es würde mich natürlich traurig stimmen«, fuhr Boris nach einer Weile fort, »wenn Unglück über eine Familie käme, über eine große, zahlreiche Familie, der wir wohlgesinnt sind.«
    Zahlreich. Er sah, wie es in Daniel arbeitete. Er, der Mönch, Stefan, der Priester, dann Lev, der Kaufmann, und außerdem noch Michail, auch ein Vetter. Boris wartete, bis er meinte, daß Daniel vollkommen begriffen habe.
    »Natürlich wünschen wir dir und deinem Besitz in Sumpfloch das Beste«, murmelte der Mönch.
    »Nun, ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte Boris rasch. »Sprechen wir vorläufig nicht weiter darüber.« Als der Mönch ging, bat Boris: »Wenn dir zufällig Lev, der Kaufmann, begegnet, Bruder Daniel, schicke ihn doch zu mir.«
    Am Spätnachmittag lieh Boris sich weitere acht Rubel vom Kaufmann, und zwar zu dem lächerlichen Zinssatz von nur sieben Prozent. Ehe er am nächsten Tag mit Philipp nach Moskau zurückkehrte, versicherte er ihm, daß die anstößigen Ikonen unverzüglich ausgetauscht würden und Stefan als Anhänger der Uneigennützigen streng verwarnt worden sei. Außerdem bot er ihm eine zinslose Anleihe von einem Rubel an, die der erklärte Gegner der Häresie bereitwillig annahm.
    Boris tat nichts für Michail. Es war nicht mehr nötig. Wohin hätte der Bauer auch gehen sollen?
    Im Winter dieses Jahres, als der Boden schneebedeckt war, machte sich von Moskau aus eine große Expedition unter Führung von Ivans besten Männern – der brillante Fürst Kurbskij war auch dabei – nach Kazan auf. Unter den ehrgeizigen jungen Männern war auch Boris. Vier Wochen später bekam Elena die Wehen. Sie betete: Wenn ich all diese Schmerzen aushalte, macht Gott sicher, daß Boris mich liebt. Es wurde ein Mädchen.
    Im Jahr des Herrn 1553 setzten in England drei Schiffe Segel. Unter dem Kommando von Sir Hugh Willoughby, Mitglied einer der illustren englischen Adelsfamilien, sollten sie eine Handelsstraße um den Nordosten Eurasiens nach China auskundschaften. Unglücklicherweise kamen in den tückischen nördlichen Gewässern zwei der Schiffe vom Kurs ab; monatelang kreuzten Willoughby und seine Leute durch die Meere, bis sie schließlich bei einer Insel vor Lappland auf Grund liefen und in der eisigen Dunkelheit, die den ganzen arktischen Winter hindurch herrscht, fast erfroren wären.
    Ein anderes Schicksal hatte das dritte Schiff, die »Edward Bonaventura«, auf der Richard Chancellor segelte. Während der Sommermonate stieß es in eine nördliche Region vor, in der um diese Jahreszeit die Sonne nicht untergeht. Im August gingen die Männer in einem seltsamen Land von Bord, wo die einheimischen Fischer sich ihnen zu Füßen warfen. Sie waren die ersten Engländer seit Jahrhunderten, die nach Muscovia gelangten. George Wilson gefiel es in diesem fremden Land. Niemand hatte bisher sonderlich Notiz von ihm genommen, doch hier war er – zusammen mit seinen Schiffskameraden – geradezu eine Berühmtheit.
    Der kleine Mann hatte etwas Rattenhaftes, man konnte auch sagen, er sah aus wie ein Schakal in einer Gruppe von Bären. Er war dreißig Jahre alt, und der einzige Grund, warum er diese Reise unternommen hatte, war die Tatsache, daß er als Tuchhändler geschäftlichen Mißerfolg erlitten hatte. Sein Vetter, ein Kapitän, hatte ihn vor den nördlichen Gewässern gewarnt. Es gebe Treibeis so hoch wie Berge, hatte er gesagt. Nun, jetzt war er hier, auf halbem Weg nach China, zwischen Menschen, die wie Bären aussahen. Aber soweit er es beurteilen konnte, war die Lage nicht hoffnungslos. Im Gegenteil, seine schmalen Augen leuchteten, wenn er sah, wieviel Geld man hier verdienen konnte.
    Da niemand wußte, wer die Besucher waren oder woher sie kamen, wurde die englische Gruppe zunächst in Verwahrung gehalten, bis die »Gastgeber« Instruktionen aus der Hauptstadt erhielten. »Die Fürsorglichkeit dieser Menschen ist so groß, daß man nicht weiß, ob wir Gäste oder Gefangene sind«, meinte Chancellor sarkastisch. Es hatte heftig geschneit, ehe sie in die Hauptstadt gebracht wurden. So konnte Wilson beobachten, wie die Waren von den Lastkähnen auf unzählige Schlitten verladen und von den Sammelpunkten zu den Städten im Inneren des Landes

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