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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Bedarf an pomeste – Land für Ivans Gefolgsleute. Und so sprachen sich die engsten Ratgeber des Zaren dafür aus, die Uneigennützigen zu unterstützen und Land von der Kirche abzuziehen. Der Metropolit suchte nach einer Möglichkeit, das zu verhindern – und er fand sie.
    Der Priester Sylvester, ein Mann, der die Kampagne gegen die besitzende Kirche betrieb, war ein enger Vertrauter des Zaren und gleichzeitig mit einem Mann befreundet, den man der Häresie bezichtigte. Der Metropolit sah darin die Chance, ein weit gespanntes Intrigennetz zu spinnen. Tatsächlich gelang es auch, eine Verbindung zwischen einigen Freunden der antikirchlichen Bewegung und der Familie des Fürsten Vladimir aufzudecken. Diesen seinen Vetter hatte Ivan mißtrauisch im Visier – schließlich galt er als möglicher Nachfolger auf dem Thron. Der Metropolit war entzückt. Der für die reiche Kirche gefährliche Sylvester würde nun als Freund der Ketzer und der Feinde Ivans entlarvt werden. Ein Schauprozeß wurde einberufen.
    Die Verhandlung wurde für Ende Oktober festgesetzt. Der Metropolit, der Zar, die hohen geistlichen und weltlichen Würdenträger würden anwesend sein. Sylvesters Anhänger und Freunde lebten bereits in Furcht und Schrecken.
    Dieser Schauprozeß mochte vielleicht dem Metropoliten genügen, nicht jedoch Sylvesters Rivalen im Rat. Plötzlich brachten sie noch einen Fall zur Sprache, Sylvester unmittelbar betreffend. Es ging um Ikonen.
    In der großen Mariä-Verkündigungs-Kathedrale im Kreml hingen seit kurzer Zeit Ikonen, die unter Sylvesters Aufsicht hergestellt worden waren. Die Gegner Sylvesters behaupteten nun, die Darstellungen seien ketzerisch.
    Wenn Boris auch nicht die Einzelheiten der Anklage verstand, so wußte er doch, daß der Vorwurf ernst war. Einige Tage vor dem Prozeß bot ihm sein Freund Philipp, der Priester, an, mit ihm die fraglichen Ikonen im Kreml anzusehen.
    Die beiden Männer betraten den Kreml durch ein hohes, strenges Tor und gingen an den wuchtigen Mauern der Rüstkammer vorbei auf den zentralen Platz.
    Da standen die beiden, und um sie herum ragten kuppelgekrönte Kirchen und Paläste in den trüben Himmel: die Kathedralen Mariä Himmelfahrt, Mariä Verkündigung, des Erzengels Michael; der Facettenpalast in italienischer Bauweise, die Kirche der Niederlegung des Gewandes Mariä, der Glockenturm Ivans des Großen.
    Sie betraten die Verkündigungs-Kathedrale. Die Ikonen, Anlaß heftiger Diskussionen, boten für Boris keinen ungewöhnlichen Anblick. Er konnte nichts Schlimmes daran entdecken. Doch der eifrige junge Priester deutete auf eine Christusfigur mit Flügeln und aneinandergelegten Handflächen. »Sieh dir das an: Hast du so etwas schon einmal gesehen?«
    »Das ist vielleicht etwas ungewöhnlich«, gab Boris vorsichtig zu und räusperte sich.
    »Ungewöhnlich? Es ist empörend! Ein Götzenbild. Siehst du nicht, daß der Künstler das einfach erfunden hat? Es ist nicht gestattet, den Herrn auf diese Weise darzustellen. Außer es kommt von den Katholiken im Westen«, fügte er finster hinzu. Bei näherer Betrachtung mußte Boris zugeben, daß der Künstler eine höchst eigenwillige Auslegung gewagt hatte. »Schau einmal hier!« Philipp stand vor einer anderen Ikone. »Unser Herr als David, in den Kleidern eines Zaren. Und dort drüben«, er blickte zu einer weiteren Ikone, »der Heilige Geist als Taube. So etwas ist für uns orthodoxe Christen undenkbar! Ketzer machen das. Diese abscheulichen Katholiken im Westen haben trotz allem etwas Gutes – die Inquisition. Die fehlt uns hier in Rußland. Das Übel muß an der Wurzel gepackt werden.« Schweigend verließen sie die Kathedrale. Als sie auf dem weiten Platz standen, hatte Boris einen glänzenden Einfall. »Ich glaube, solche Ikonen werden in Russka hergestellt.« An einem trüben Novembertag kamen die beiden Besucher in Russka an. Ein kalter, feuchter Wind, der starken Regen, sogar Schnee ankündigte, blies ihnen ins Gesicht. Philipp hätte lieber eine angenehmere Zeit abgewartet, doch Boris hatte darauf bestanden, sofort zu reisen.
    Sie gingen in Boris' Haus, der von hier aus eine freundliche Nachricht an den Priester Stefan mit der Bitte um einen Besuch sandte. Boris schickte seinen Diener zum Verwalter mit dem eiligen Auftrag, ein paar fette Hühner zu holen, eine Flasche Wein und alles, was sonst zu ihrem Wohlbefinden beitragen könnte. Zwei Stunden später saßen sie zu dritt beim Abendessen. Stefan war gespannt, ob sein Besuch

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