Russka
amüsant, und er hörte sie die halbe Nacht plaudern.
Tagsüber fühlte er sich noch elender. Die drei Frauen steckten unentwegt zusammen und tuschelten miteinander. Boris argwöhnte, daß es dabei um ihn ging.
Seine Vorstellung von Frauen entsprach der allgemeinen Meinung jener Zeit. Es waren allerlei Schriften byzantinischer und russischer Autoren in Umlauf, die die Ansicht von der Minderwertigkeit des Weibes vertraten.
So war auch Boris der Meinung, Frauen seien unrein. Er selbst wusch sich immer sorgfältig, nachdem er mit Elena geschlafen hatte, und während der Zeit ihrer monatlichen Regel mied er ihre Gegenwart möglichst.
Vor allem jedoch waren Frauen für ihn Fremde. Warum waren Elenas Mutter und Schwester gekommen? Als er höflich danach fragte, antwortete Elenas Schwester fröhlich, sie seien nur gekommen, um die Braut und den Besitz ihres Mannes zu sehen: und sie würden auch im Nu wieder verschwunden sein. »Hast du sie gebeten zu kommen?« fragte er Elena mißtrauisch. »Nein«, antwortete sie, der Wahrheit entsprechend. Boris bemerkte jedoch ihre leichte Verlegenheit. Sie gehört nicht mir, dachte er. Sie gehört zu ihnen.
Endlich reisten die beiden Frauen ab. Beim Abschied dankte Elenas Mutter Boris herzlich für die Gastfreundschaft und meinte vielsagend: »Wir freuen uns, euch bald in Moskau zu sehen, Boris Davidov. Mein Mann und ich, auch seine Mutter, erwarten euch sehnsüchtig.«
Das war ein Versprechen möglicher Unterstützung seitens Dmitrijs und der Hinweis, die alte Dame finde es respektlos, wenn er sich ihr nicht bald vorstelle. Er lächelte verlegen und dachte daran, daß der Besuch ihn fast einen ganzen Rubel gekostet hatte. Und was hatten die beiden wohl mit seiner Frau angestellt? Als sie wieder allein waren, ließ sich zunächst alles gut an. Boris kam nachts wieder zu Elena, und sie liebten sich leidenschaftlich. Zwei Wochen später änderte sich seine Laune schlagartig. Er hatte verschiedene Mängel an den Gerätschaften und in den Getreidespeichern entdeckt, die der Verwalter offenbar übersehen hatte. Gleichzeitig erlag einer der Tatarensklaven einer schweren Krankheit. Also mußte Boris entweder einen neuen Sklaven kaufen oder weniger Land bewirtschaften. Er würde wohl eine weitere Anleihe bei Lev machen müssen.
Elena wartete eine Gelegenheit ab, um mit ihm zu reden. »Du machst dir zu viele Sorgen«, begann sie. »So ernst ist es gar nicht.«
»Das kann nur ich beurteilen«, meinte er ruhig. »Aber ich sehe doch dein trauriges Gesicht«, fuhr sie fort. Sie sagte das mit leise ironischem Ton. Er warf ihr einen finsteren Blick zu.
Wo nahm sie nur diese Keckheit her? Daran waren bestimmt die beiden Frauen schuld!
Damit hatte er in gewissem Sinn recht. Elena hatte Mutter und Schwester des öfteren nach ihrer Meinung über Boris gefragt, und die hatten ihr erklärt: »Wenn ein Mann Launen bekommt, muß man einfach darüber hinweggehen.« Dabei bedachten sie nicht, daß Boris ein ungewöhnlicher Mann war.
Boris bekam den Eindruck, daß Elena seine Stimmung nicht ernst nahm, und dachte nur: Sie haben ihr beigebracht, mich zu verachten. Noch konnte er seinen Ingrimm hinunterschlucken, doch dann machte Elena den größten Fehler.
»Ach, Boris«, sagte sie, »es ist albern, so niedergeschlagen zu sein.« Albern! Seine Frau nannte ihn albern? Wütend sprang er auf und ballte die Fäuste. »Lach du mich noch einmal aus, wenn ich Sorgen habe«, schrie er. Er machte einen Schritt auf sie zu, ohne zu wissen, was er tat.
Da pochte es an die Tür, und Stefan, der Priester, trat ein. Er sah äußerst betroffen aus: »Der Zar liegt im Sterben.«
Wohin der Bauer Michail auch blickte – nichts als Probleme. Der junge Herr Boris war mit seiner Frau zwar wieder in Moskau, doch er kam von Zeit zu Zeit auf einen kurzen Besuch. Sicher war es bald wieder soweit. Wer weiß, was er dann vorhatte. Die neue barschtschina war eine erdrückende Bürde. Neben seinem Dienst und kleineren Zahlungen an Boris mußte Michail auch die Staatsausgaben bezahlen. Seine Frau half, indem sie hübsches Tuch in leuchtenden Farben und mit einem roten Vogelmuster darin webte und auf dem Markt in Russka verkaufte. Aber er hatte trotzdem kein Geld übers Jahresende hinaus und gerade genug Getreidevorräte, die ihn nach einer schlechten Ernte über den Winter brachten.
»Wir könnten doch weggehen«, meinte seine Frau, »noch diesen Herbst.«
Er lehnte diesen Gedanken nicht ab, doch vorläufig konnte er nichts
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