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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Vorschlägen des Zaren einverstanden erklärt. Es gab nur ein Hindernis: Die unverschämten Abgeordneten, vom neuen Metropoliten unterstützt, bedrängten Ivan, die opritschnina aufzugeben. Der Zar war wütend.
    »Es waren Verräter, und der Zar hat sie entsprechend behandelt«, meinte Boris barsch. »Es gibt immer noch viele von ihnen, viele Kurbskijs, die ausgerottet werden müssen.« Ach ja, Kurbskij, dachte sie. Abgesehen von Anastasias Tod hatte den Zaren sicherlich nichts so tief getroffen wie das Abtrünnigwerden des Fürsten Kurbskij. 1564 war dieser Kommandeur, unter dem auch Boris nach Kazan gezogen war, nach Litauen desertiert. In militärischer Hinsicht war er gar nicht so bedeutend, doch er war Ivans Freund gewesen seit Kindertagen.
    »Stimmt es, daß der Zar die ganze Versammlung eingesperrt hat?« fragte Elena. »Nur sechs Tage lang.«
    »Wie viele wurden hingerichtet?«
    »Nur drei.« Boris' Gesicht war wie versteinert. »Es war ein Komplott, weißt du. Sie haben Verrat geübt.« Boris stand auf. »Es wird keine Versammlungen mehr geben, das sage ich dir!« fügte er mit einem kurzen Auflachen hinzu.
    Elena fragte ihn nicht, ob er dabeigewesen war. Sie wollte es gar nicht wissen. Nun ging sie zögernd zu ihm hinüber und legte den Arm um ihn in der Hoffnung, daß ihre Liebe seine Sorgen erleichtern könnte. Aber er wußte, daß in ihrer Liebe auch Mitleid lag, und das konnte er nicht hinnehmen; so wandte er sich schweigend ab. In dieser Nacht schlief er unruhig. Sie hatte sich ihm hingegeben, aber es war nicht genug gewesen. Sie tat so, als schlafe sie. Er lief auf und ab. Morgens blickte er durch das Pergament, das das Fenster abschirmte, in die graue Dämmerung. Er wandte sich um, und als er sah, daß sie wach war, sagte er: »Ich fahre morgen nach Moskau zurück.«
    Sie wußte nicht, ob sie ihn abhalten sollte. Sie hatte das Gefühl, versagt zu haben. »Stefans Frau Anne ist krank«, bemerkte sie dumpf. »Ich habe vergessen, es dir zu sagen.«
    Immer wenn der Bauer Michail den Blick über seine Familie gleiten ließ, wußte er, daß er gut geplant hatte. Sein ältester Sohn war nun verheiratet und lebte am anderen Ende des Ortes; um ihn machte Michail sich keine Sorgen. Auch seine beiden Jüngsten, ein Sohn und eine Tochter unter zehn Jahren, bereiteten ihm kein Kopfzerbrechen. Aber da war noch Karp, und hier lag das Problem. Er wird zwanzig und ist noch ledig, dachte Michail wehmütig. Was soll ich bloß mit ihm anfangen?
    Frauen fanden Karp zweifellos attraktiv; er war schlank, gut gebaut, dunkelhaarig, bewegte sich mit anmutiger Leichtigkeit, und er ritt auf einem Zugpferd, als wäre es ein Schlachtroß. Doch da war etwas in seinem Innern, eine Wildheit und Freiheit, die nicht in die Enge des Dorfes paßten. Einige Mädchen in Russka hatten sich von ihm verführen lassen. Mehrere verheiratete Frauen hatten sich ihm heimlich angeboten. Es machte dem Jungen Spaß, nach hübschen Gesichtern Ausschau zu halten, zu erobern, dann auszuwählen, was ihm gefiel.
    Natürlich war Michail auch froh, Karp im Haus zu haben, denn er war eine tüchtige Hilfe. Trotz der schwierigen Umstände und der zusätzlichen Arbeit, die für Boris zu leisten war, erzielten der Bauer und sein Sohn gute Gewinne aus dem Getreideanbau. Außerdem hatten sie eine neue, unerwartete Einnahmequelle entdeckt. Drei Jahre zuvor hatte Michail im nahen Wald ein Bärenjunges gefunden, dessen Mutter von Jägern getötet worden war. Die arme Kreatur war erst einige Wochen alt, und Michail brachte es nicht übers Herz, sie zu töten oder sich selbst zu überlassen; so nahm er den kleinen Bären zur Freude der Dorfbewohner mit nach Hause.
    Nur seine Frau war wütend. »Soll ich ihn vielleicht durchfüttern?« schrie sie.
    Karp dagegen war begeistert. Er konnte erstaunlich gut mit Tieren umgehen. Als der Bär achtzehn Monate alt war, brachte Karp ihm ein wenig Tanzen und einige Kunststücke bei. Für die Vorstellungen ließ er das Tier von der Kette. Oft warfen die Leute ihm auf dem Markt von Russka Münzen zu. Zweimal war Karp mit dem Bären schon flußaufwärts bis nach Vladimir gezogen und mit einem hübschen Sümmchen zurückgekehrt.
    Auf diese und andere Weise hatte Michail ganz behutsam, um weder Eifersucht noch Argwohn zu erregen, Geld beiseite geschafft. Sein Ziel war klar: »Ich möchte genug haben, um mich von dem Herrn Boris freizukaufen.«
    Das Leben in Russka würde noch schwieriger werden. Auch sein Vetter Lev, der örtliche

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