Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
jungen Herrn in Sumpfloch. Genau das hatte Boris gewollt.
    »Ich diene dem Zaren auf all seinen Feldzügen«, sagte er. »Laßt mich, ich bitte euch, einer der opritschniki sein.« Als er sah, daß sie sich eine Notiz machten, fügte er hinzu: »Vielleicht erinnert der Zar sich meiner. Sagt ihm, daß er eines Morgens in der Dämmerung auf unserem Rückzug von Kazan mit mir gesprochen hat.« Der Beamte lächelte schief. »Wenn das so ist, erinnert der Zar sich an dich.«
    Sie prüften alles sorgfältig und konnten keinen Makel an seiner Familie finden. Nur ein Problem gab es.
    »Wie steht es mit der Familie deiner Frau?« wurde Boris gefragt. »Dein Schwiegervater hat Freunde in Kreisen, deren Loyalität nicht gesichert ist. Was kannst du über ihn sagen?«
    »Was möchtet ihr denn wissen?« fragte Boris leise. Eine Woche darauf wurde Boris nach Moskau gerufen. Dort teilte man ihm nach einer kurzen Unterredung mit, daß er das Land als Dienstgut behalten könne und nun zu den opritschniki gehöre. »Der Zar hat sich deiner erinnert«, sagte man ihm. Boris und Elena saßen beim Essen. Er aß schweigend. Sie saß auf der anderen Seite des schweren Tisches und stocherte im Gemüse. Anscheinend hatte keiner von beiden den Mut, das Gespräch zu beginnen. Die Gerüchte aus Moskau, sollten sie wahr sein, bildeten ein allzu schreckliches Thema.
    Einmal fragte er sie leise nach dem Befinden Levs, des Kaufmanns. Er war verantwortlich für das Eintreiben der örtlichen Abgaben und somit ein Angestellter der opritschnina, wie Boris. Sie arbeiteten in allen offiziellen Angelegenheiten miteinander. »Und unsere Tochter?« fragte Elena schließlich. Das Mädchen war Anfang des Jahres an einen jungen Adligen verheiratet worden. Er lebte zwar nicht innerhalb der opritschnina, doch in bescheidenem Wohlstand, und Boris hatte sich von der Loyalität der Familie überzeugt. Elena hatte die Vermutung, daß er froh war, das Mädchen im Alter von nur zwölf Jahren aus dem Haus zu bekommen. Obwohl er freundlich zu seiner Tochter war, wußte Elena, daß Boris einen Sohn anstelle des Mädchens gewünscht hatte. »Es geht ihr gut«, antwortete er kurz. »Ich habe mit ihrem Schwiegervater gesprochen.«
    Elena reiste jetzt selten nach Moskau. Obwohl ihre Familie dort war, verspürte sie keine Lust, und Boris ermutigte sie auch nicht dazu. In der Hauptstadt herrschte eine gespannte, mitunter schreckenerregende Atmosphäre. Menschen verschwanden, und es war die Rede von Hinrichtungen. Aus den ehemaligen Fürstenstädten hörte man von Massenbeschlagnahmungen, Großfürsten und Magnaten verloren ihre Ländereien und wurden auf elende kleine Höfe in die ferne Gegend um Kazan verschickt.
    »Eine ekelhafte Geschichte«, meinte Elenas Vater, als sie ihn einmal in der Stadt besuchte. »Die meisten der Hingerichteten haben überhaupt nichts verbrochen. Und viele Beschlagnahmungen finden nicht in den Gegenden der opritschnina statt. Dieses Komplott soll uns alle ruinieren.«
    In jenem Frühjahr waren zwar einige Exilanten begnadigt worden, doch zwei Metropoliten waren zurückgetreten, oder man hatte sie dazu gezwungen, da sie diesen neuen Terrorstaat nicht hinnehmen wollten.
    Und nun die letzten furchtbaren Nachrichten! Boris betrachtete Elena. Sie war im Grunde immer noch das Mädchen, das er geheiratet hatte – leise, ein bißchen nervös, bestrebt zu gefallen –, doch das Leid hatte ihr eine gewisse Würde verliehen, ein Selbstgenügen, das er manchmal bewunderte, dann wieder machte es ihn ärgerlich. War das vielleicht eine heimliche Anklage gegen ihn, wenn nicht sogar Verachtung? Erst als Boris sein Mahl beendet hatte, fragte Elena: »Was ist nun wirklich in Moskau geschehen?«
    Es war Ivans eigene Idee gewesen, die große Reichsversammlung, den zemskijsobor, einzuberufen. Nicht, daß sie auch nur im entferntesten repräsentativ gewesen wäre. Es waren nur annähernd vierhundert Männer aus dem niederen Adel, der Geistlichkeit und führende Kaufleute zusammengekommen. Immerhin war es ein bemerkenswertes Zugeständnis an das Volk, daß eine solche Körperschaft überhaupt existierte.
    Der Krieg im Norden war kein Erfolg gewesen. Rußland brauchte die baltischen Städte, Polen stellte sich gegen sie, und der Zar brauchte Geld. Die Idee war, daß der zemskijsobor dem Krieg und der massiven Abgabenerhöhung zustimmte und dem Feind zeigte, daß das ganze Land dahinterstand.
    Die Reichsversammlung war im Juli zusammengetreten. Sie hatte sich mit allen

Weitere Kostenlose Bücher