Rywig 04 - Die Glücksleiter hat viele Sprossen
sehnte ich mich so furchtbar - so ganz schrecklich, ich wußte gar nicht, wie ich die fünf nächsten Wochen aushalten sollte! Ach, wenn er nur näher wäre! Ich wollte so gern in seiner Armbeuge sitzen, so wie im Zug und im Auto am letzten Safaritag im Frühjahr
- ich wollte - ich wollte - na, meinetwegen Kartoffelpuffer für ihn machen, Kartoffelpuffer aus einem Zentner handgeriebenen Kartoffeln!
Drei im Wagen
Unser ganzes Haus duftete nach Schmalz und Tannenzweigen. In allen Schlafzimmern raschelte Papier, die Türen waren abgeschlossen - nur Stefan, der für seine Tür keinen Schlüssel hatte, mußte einen anderen Ausweg finden. Da hing ein großes Schild mit „Zutrit ferboten“.
Ich stand in der Küche und rollte Pfeffernüsse aus. Die waren von jeher meine Lieblingskuchen. Beatemutti schwitzte über ihren Vanilleplätzchen und Schmalzkringelchen. Aber mit einer Kuchensorte mußten wir warten, bis Senta da war: Schürzkuchen! Die hatten wir gemeinsam gebacken, als Beatemutti gerade zu uns gekommen war. Damals standen wir alle in der Küche, sogar Papa war dabei - , und vielleicht hatten wir alle bei der Gelegenheit stärker als sonst empfunden, daß wir zusammengehörten, daß wir uns liebten, daß wir einander gefunden hatten. Das hatten wir alles Beatemutti zu verdanken. Denn unsere frühe Kindheit war nicht sehr sonnig gewesen. Senta und ich waren sechs, als Mama starb, Bernt war acht, und Hans Jörgen war eben geboren. Dann kam Tante Julie zu uns. Ja, bestimmt, sie war ausgezeichnet und großartig, aber kein Mensch konnte behaupten, daß sie Sonne oder Freude in unser Haus brachte. Die Sonne kam mit Beatemutti - und die Sonne blieb!
Es überkam mich so ein Glücksgefühl, so eine unermeßliche Dankbarkeit, als ich dastand bei meinen Pfeffernüssen - so stark, daß ich plötzlich meine mehligen Hände schnell abtrocknete, zu Beatemutti hinging, ihr meine Arme um den Hals legte und ihr einen Kuß gab.
„Na, Sonnielein, was hast du denn?“ lächelte sie und streichelte meine Wange (und hinterließ einen schönen Mehlklecks.)
„Dankbarkeit“, sagte ich. „Und Liebe. Kannst du raten, woran ich denke?“
„Was kriege ich, falls ich es errate?“ lächelte sie verschmitzt.
„Noch einen Kuß!“
„Ja, den kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Denkst du vielleicht an unser erstes Weihnachtsbacken? An unsere schiefen, komischen, gemeinsamen Schürzkuchen?“
„Willst du den Kuß rechts oder links haben?“ fragte ich und küßte ihre andere Wange.
Dann ging ich zurück zu meinen Pfeffernüssen.
„Weißt du, Mutti“, sagte ich, während ich den Teig sorgfältig zu Kügelchen rollte - „weißt du, was ich mir wünsche?“
„Ich glaube, deine Auswahl an Wünschen ist ziemlich reichhaltig“, schmunzelte Beatemutti. „Woran denkst du jetzt?“
„Ich denke daran, wie gut wir es haben. Wie glücklich wir sind. Was für ein schönes Zusammenleben wir haben. Nein, ich will dir keine Lobesrede halten, bei dieser Gelegenheit nicht. Aber ich wollte sagen, ich wünsche, daß ich dieses Glück, dieses offene Vertrauen, all die Sonne in Heikos und mein Heim mitnehmen kann. Daß wir es auch so schön haben werden wie hier im Hause.“
„Ja, warum solltest du das nicht können? Heiko ist doch auch ein sonniger und fröhlicher Mensch!“
„Ja, das ist er! Sonst hätte ich ihn wohl nicht liebgewonnen. Nein, gewiß nicht!“
„Dann kannst du bestimmt eurer gemeinsamen Zukunft ruhig entgegensehen, Sonnie. Aber sag mal, glaubst du, daß Senta uns erlaubt, den Teig für die Schürzkuchen anzusetzen? Oder verlangt sie, da auch mitzumachen?“
„Nein, das tun wir, Beatemutti. Es ist ja das Ausrollen und Ausstechen und Backen, was immer eine gemeinsame Arbeit war.“ „Ja, deine arme Schwester wird morgen direkt vom Auto an den Backtisch springen müssen“, meinte Beatemutti. „Denn morgen müssen wir die Schürzkuchen backen. Es ist höchste Eisenbahn!“
Ja, das konnte man wohl sagen. Morgen war der zweiundzwanzigste, und Senta würde voraussichtlich am Nachmittag kommen, in Rolfs Auto. Diesmal würde aber Heiko nicht dabei sein. Er hatte mir neulich geschrieben, es wäre ihm unmöglich, zum Heiligen Abend zu kommen. Aber Silvester ganz sicher! Silvesterabend war ja auch mein Geburtstag. Ich sage absichtlich mein und nicht unser, denn Senta ist am folgenden Tag und also in einem anderen Jahr geboren! Es ist ein Altersunterschied von 15 Minuten zwischen uns, aber diese Viertelstunde fing
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