Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
ihr!“
Reni lachte laut.
„Fein ist das richtige Wort! Manfred und ich haben je einen alten VW, Vertreterwagen vom Werk meines Vaters. Und Falkos und Jessicas Auto ist selbstgebastelt und sieht danach aus!“
„Kein häßliches Wort über unseren Wunderwagen!“ protestierte Jessica. „Den hat Falko im Schweiße seines Angesichts gebaut, um mir eine Freude zu machen! Zugegeben, er sieht etwas selbstgestrickt aus, aber er läuft wunderbar, und ich liebe ihn!“
„Falko oder den Wagen?“ fragte Frau von Waldenburg.
„Rate mal“, schmunzelte Jessica. „Übrigens ist unser Wagen geräumiger als dein Puppenwagen, Tante Christiane!“
„Bestimmt! Mein Puppenwagen ist ja auch nur für Bicky und mich angeschafft, er ist mein Einkaufsnetz sozusagen, und ich kann damit parken, wo die dicken Brummer sich unmöglich reinzwängen können.“
„Also sind wir alle in puncto Autos sehr bescheiden“, stellte Falko fest.
„Reni, erzähl nun endlich, wie es eurem Goldstück geht“, sagte Frau von Waldenburg. „Was für Schandtaten hat sie in der letzten Zeit gemacht?“
„Keine, die erwähnenswert sind“, versicherte Reni. „Nun ja, sie hat ein paar Seiten von meiner Doktorarbeit mit ihren persönlichen Kunstwerken dekoriert, mit dem ganzen Inhalt ihrer Farbstiftschachtel - ja, und dann hat sie den Schlüssel von Muttchens Kleiderschrank entführt, so daß die arme Omi vier Tage nicht an ihre Garderobe konnte, bis wir endlich den Schlüssel im Puppenbett fanden!“
„Und während ihr nun hier seid, entführt sie womöglich den
Schlüssel zum Wäscheschrank“, meinte Jessica.
„O nein, das tut sie nicht. Wir haben ihr erklärt, daß sie das nicht darf, und das begreift sie.“
„Wie alt ist das Wunderkind?“ fragte ich.
„Sie wird in wenigen Tagen drei. Am neunundzwanzigsten November, wenn Sie es genau wissen wollen. Sie fragt schon jeden Tag ,hab ich heut Geburtstag’? und erinnert uns sehr klar und unmißverständlich daran, daß sie sich ein Dreirad wünscht. Es steht schon im Keller hinter Schloß und Riegel!“
„Ihr seid also nicht so modern, daß ihr dem Kind nichts verbietet?“ fragte Falko.
„Um Gottes willen!“ rief Manfred. „Ein kleines Kind muß so schrecklich viel lernen, die ersten Lebensjahre bestehen ja nur aus Lernen - essen lernen, laufen lernen, aufs Töpfchen gehen lernen -und später, daß es über die Straße nicht bei rotem Licht gehen, und keine fremden Hunde streicheln darf, und nicht über die Straße gehen soll, ohne rechts und links zu gucken. Es ist etwas Selbstverständliches für ein Kind, zu lernen, daß es Dinge gibt, die man nicht darf, Dinge, die kein Mensch darf - es wäre noch schöner, wenn man dem Kind dieses notwendige Wissen vorenthalten würde! Wenn es das alles kennt, fällt es ihm später auch viel leichter, sich nach den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen der Erwachsenen zu richten!“
„Und ihr meint nicht, daß das Kind dadurch gehemmt wird.“ Falko kam nicht weiter, denn Reni unterbrach ihn.
„Von wegen gehemmt! Unser Gretchen ist das fröhlichste, ungehemmteste Kind auf der Welt, und sie nimmt die notwendigen Verbote genauso selbstverständlich hin wie das Spielen und unsere Liebkosungen und überhaupt all das Schöne, was ihr das Leben so bietet. Ein Kind hat doch das Recht dazu, erzogen zu werden! Und zwar zu einem guten Mitglied einer demokratischen Gesellschaft!“ „Genau das sagt mein Vater auch!“ rief ich. „Meine Eltern haben uns so erzogen! Natürlich gab es Verbote, das nahmen wir als selbstverständlich hin, wir wußten ja, daß es eine Menge Dinge gibt, die die Erwachsenen auch nicht dürfen! Und vor allem: Wir lernten zu lernen, ja das klingt bestimmt komisch, aber es stimmt!“
„Das ist gar nicht komisch“, warf Frau von Waldenburg ein. „Es ist vollkommen richtig ausgedrückt!“
„Ja, wir lernten, daß die große Welt voll merkwürdiger Dinge ist, Dinge, die wir kennenlernen mußten! Wir wußten, daß wir jederzeit
die Eltern fragen konnten. Sie hatten immer Zeit für uns!“
„Das ist eine Leistung, wenn man acht Kinder hat!“ rief Falko. „Meinen Respekt!“
„Wissen Sie, Mutti sagt manchmal: ,Daß der Staub liegenbleibt, ist nicht so schlimm, wie ein Kind mit einer unbeantworteten Frage wegzuschicken’. Das gab uns ein Gefühl von Geborgenheit, eine Sicherheit - wenn wir etwas fragten, bekamen wir eine richtige Antwort, und dann nahmen wir es auch als selbstverständlich hin, wenn die Eltern
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