Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
aus den Nistkästen, das war die lustigste Arbeit des Tages!“
„Also können Sie mit gutem Gewissen Ihr Sonntagsei essen“, sagte Frau von Waldenburg und nickte Xenia freundlich zu.
„Ich weiß“, antwortete Xenia. „Ich sah es gleich an dem ersten Sonntag bei Ihnen. So braune Eier mit einer so festen Schale kriegt man nicht von Batteriehühnern.“
„Hätten Sie das Sonntagsei abgelehnt, wenn es ein Batterieei gewesen wäre?“ fragte Manfred.
„Ja“, sagte Xenia. „Ich habe auch Batteriehühner gesehen.“
„Mein Respekt! Die meisten Leute finden auch die Batteriehaltung und die Kälberhaltung grausam, aber sie zucken eben die Schultern und sagen ,ja was sollen wir machen’, und dabei bleibt es!“
Es war wieder Manfred, der sprach.
„Es ist auch grausam“, sagte Jessica. „Aber wir begehen so furchtbar viel Grausamkeiten! Wir essen lebendig gekochte Hummern und Krebse, wir essen lebendig gehäutete Aale.“
„Nicht wir!“ rief ich. „Meine Nichte. ich meine, die Schwägerin von Sonja und Senta, hat uns gelehrt, wie man Hummer und Krebse und Aale tötet! Sie hat es von einem alten Fischer gelernt.“
„Und sie kann es, gerade weil sie eine Tierfreundin ist! Sie tut es ja, um den Tieren einen viel größeren Schmerz zu ersparen.“
„Ich lehne es auch ab, Tiere lebendig zu kochen“, sagte Frau von Waldenburg. „Und trotzdem: So scheußlich wie es auch ist, ich finde die Kälberhaltung und die Batteriehühnerhaltung schlimmer.“
„Ist sie auch“, sagte Xenia. „Die Hummer und Krebse und Aale leiden furchtbar durch eine so bestialische Tötungsart, aber es geht ja ziemlich schnell. Aber die Kälber und die Hühner - für die ist das
ganze Leben, jeden Tag und jede Stunde eine Folterung!“
Es entstand eine kleine Pause. Dann sagte Jessica: „Reni, gibst du mir bitte die Adresse von deinem Eierlieferanten?“
Nach dem Essen ging es lustig zu. Wir bildeten eine lange Kette vom Eßtisch durch die Küchentür zum Geschirrspüler. Da stand Frau von Waldenburg und räumte das gebrauchte Geschirr ein, das ihr von Hand zu Hand vom Tisch zugeschickt wurde. Am Küchentisch stand Denise und kratzte Reste in Kühlschrankbehälter. So dauerte es nur wenige Minuten, bis der Tisch ab- und die Küche aufgeräumt war.
„So machen wir es immer“, erklärte Reni.
Ich nickte. „Ich kenne es von zu Hause! Nur mit dem Unterschied, daß wir keinen Geschirrspüler haben!“
„Aber dafür achtzehn fleißige Hände“, schmunzelte Frau von Waldenburg.
„Nein, zwei, nämlich die meiner Mutter! Die übrigen Hände, die der Reihe nach zugreifen mußten, waren leider Gottes nicht immer allzu eifrig“, gestand ich.
„Achtzehn Hände“, rechnete Jessica. „Neun Personen - sind Sie sieben Geschwister?“
„Acht! Die Hände meines Vaters werden nicht mitgerechnet, wenn es um Abwaschen geht. Sonst sind die auch fleißig genug! Also zwei willige Mutterhände und sechzehn nicht ganz so willige Kinderhände.“
Wir hatten uns im Wohnzimmer niedergelassen, und Frau von Waldenburg brachte Kaffee und Likör.
„Wem von euch darf ich nichts einschenken?“ fragte sie die Gäste.
„Mir!“ seufzte Reni. „Wir sind alle in meinem Wagen gekommen, damit nur einer von uns Abstinenzler sein muß. Manfred und ich haben geknobelt, und das Untier hat natürlich gewonnen!“
„Na, das nächste Mal kommt ihr dann in Falkos und Jessicas Wagen“, tröstete Frau von Waldenburg.
„Von wegen! Du vergißt, daß wir auf dem Lande wohnen! Wir können schon Falko und Jessica nach Hause bringen, aber wir können ihnen nicht zumuten, dreißig Extrakilometer mitten in der Nacht zu fahren! Nein, das nächste Mal bin ich mit meinem Wagen an der Reihe“, meinte Manfred und leerte sein Glas, als wolle er gleich die Zuteilung intus bringen, auf die er das nächste Mal verzichten mußte.
Du meine Güte, dachte ich. Diese vier jungen Menschen haben zusammen drei Autos! Und meine Eltern haben nie in ihren wildesten Phantasien jemals daran gedacht, einen Wagen sich anzuschaffen. Nun, ich wußte natürlich, daß ein vernünftiger Mittelklassewagen längst kein Luxus mehr ist, und ich wußte, daß der Begriff „Zweitwagen“ in Deutschland was Alltägliches geworden ist - aber doch.
Mein Blick traf zufällig Xenia. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß sie genau dasselbe dachte wie ich.
„Wartet nur ab!“ sagte ich. „Wenn Xenia Lehrerin geworden ist und ich Zahnärztin, dann werden wir genauso feine Wagen haben wie
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