Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
sprechen!“ Er drückte mir den Strauß in die Hand.
„Das ist aber lieb von Ihnen. Die Sprache höre ich gern, oder vielmehr, sehe ich gern! Kommen Sie doch rein, Herr Glinde!“ Er guckte auf die Uhr.
„Viel Zeit habe ich nicht, ich wurde zur Post losgeschickt, na, vielleicht glaubt der Chef, daß ich da lange warten muß. Aber dürfen Sie denn Besucher empfangen?“
„Wahrscheinlich, ich habe nie gefragt“, gestand ich. „Aber Frau Felsdorf schläft gerade. Übrigens, sie ist ja der liebste Mensch, den man sich denken kann, sie würde Sie bestimmt strahlend freundlich begrüßen.“
Ich sollte recht behalten. Denn in diesem Augenblick erschien
sie.
„Oh, wir haben Besuch? Wie nett! Ein Freund von Ihnen, Spatz?“ Bevor ich antworten konnte, ergriff Hartmut Glinde geistesgegenwärtig das Wort.
„Ich weiß nicht, ob Sie mich noch kennen, gnädige Frau. Ich bin in Ihrem Reisebüro angestellt und wollte Ihnen ein paar Prospekte bringen.“
„Das ist reizend von Ihnen. Wie aufmerksam! Und gerade jetzt, wo ich mir so sehr überlege, wo ich dieses Jahr hinfahre. Sagen Sie“, Frau Felsdorf betrachtete Hartmut Glinde aufmerksam, „haben Sie mich eigentlich schon bedient? Ich kann mich nicht erinnern.“
„Nur einmal, gnädige Frau. Vor einem Jahr. Damals war ich ein blutiger Anfänger, jetzt weiß ich etwas mehr Bescheid.“
Aha, dachte ich. Alles, was er über Frau Felsdorf und ihren x-mal wiederholten Bestellungen wußte, hatte er also von seinen älteren Kollegen. Frau Felsdorf war wohl ein fester und etwas komischer Begriff im Reisebüro.
Sie strahlte, als eine Reihe bunter Prospekte ihr vorgelegt wurden, und sie fing sofort an, drin zu blättern.
„Sie können sie alle behalten“, erklärte Hartmut Glinde, „damit Sie in aller Ruhe Ihre Wahl treffen können!“
„Das ist ja wunderbar. Dann haben wir Unterhaltung für den ganzen Abend, nicht wahr, Spatz? - Ach, müssen Sie schon gehen? Es war aber sehr lieb von Ihnen, mit den Prospekten extra herzukommen. Na, wir werden demnächst das Reisebüro aufsuchen, wenn wir uns entschlossen haben.“
Ich brachte Hartmut Glinde zur Tür und bedankte mich noch einmal für die Blumen.
„Laufen Sie immer so herum mit den Taschen voll Prospekte?“ wollte ich wissen.
„Von wegen! Ich habe sie nur eingesteckt, um bei der alten Dame freundlich empfangen zu werden“, grinste Herr Glinde. Gleich darauf verschwand er, und das Knattern eines Motorrollers verkündete, daß er auf dem schnellsten Wege zurück zu seinen Pflichten eilte.
Die Blumen stellte ich in mein Zimmer. Sonst wären lange Erklärungen notwendig geworden.
Dann saßen wir beide am Abend mit all den bunten Prospekten vor uns. Sie waren ganz planlos und anscheinend in großer Eile zusammengeklaubt, denn da war alles, von Bayern bis London, von
Spanien bis Nordkap.
„Spanien“, sagte Frau Felsdorf. „Nein, da möchte ich nicht hin. Einmal genügt mir!“
„Sie waren schon da?“ fragte ich.
„Ja, mit meinem kunstliebenden Mann. Denn Kunst gibt es in Spanien, mehr als in allen Ländern die ich besucht habe. Und Burgen und Schlösser und Gemälde und Gobelins - o ja, die Gobelins! Und Paläste! Und Städte mit mittelalterlichen Mauern. Aber - es gibt auch was anderes. Die grausamen Erinnerungen an die Ketzerverbrennungen, denken Sie an den schrecklichen Herzog Alba
- und die Konquistadoren. Ja, das ist lange her, das stimmt, aber mir war es als hätten sie einen Dunst von Blut und Feuer hinterlassen. Und was noch existiert ist all das Blut, das in den Stierkampfarenen fließt.“
Frau Felsdorf sprach mit Leidenschaft. Sie war nicht mehr eine verkalkte Achtzigjährige. Sie war die gesunde, die intelligente und warmherzige Frau, die sie vor vierzig Jahren gewesen war.
„Haben Sie vielleicht Stierkämpfe gesehen?“ fragte ich.
„Um Gottes willen, nein! Aber mein Mann und ich waren dabei als eine Touristengruppe den Hotelportier bat, Karten für einen Stierkampf zu besorgen. Der Portier fragte uns, ob wir vielleicht auch. Da platzte es aus mir heraus: ,Wir sind doch keine Sadisten!’ Einer der Touristen lächelte mitleidig und sagte: ,Dann können Sie auch kein Fleisch essen.’ Der Idiot! Ich antwortete, ich glaube, sehr laut und deutlich: ,Ich habe auch nie Fleisch von Tieren gegessen, die in stundenlangem Kampf Banderillos mit Widerhaken in den Rücken eingejagt bekommen.’ - Oh, wie war ich wütend und unglücklich! Am nächsten Tag erzählten ein paar der Gruppe, es sei
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