Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
Goldene Stadt“, sagte Frau Felsdorf und sah träumend vor sich hin. „Ist es Ihnen aufgefallen, Spatz, daß man immer zu dem Wort ,golden’ greift, wenn man ganz was Schönes bezeichnen will? ,Das goldene Dachl’ in Innsbruck, ,Golden Gate’ in San Franzisko.“
„Das Goldene Horn in Istanbul“, ergänzte ich.
„In Wladiwostock ist auch ein ,Goldenes Horn’“, belehrte mich Frau Felsdorf. „Ja, und dann Prag - eine Stadt, die so schön ist, daß man die ganze Stadt ,golden’ nennt.“
Es wurde direkt ein gemütlicher Abend - und meine Sehnsucht nach Prag wurde noch größer. Am folgenden Tag brachte ich sie dazu, aus ihrer Schulzeit zu erzählen und über die Lebensverhältnisse damals. Allmählich wurde eine Art Geschichtsunterricht und Kulturgeschichte daraus. Es fesselte mich, wenn sie so erzählte, und das, was bis jetzt ein trockenes Schulfach gewesen war, rückte plötzlich näher und wurde lebendig. Denn dieser kleine, weißhaarige, rotbackige Mensch hatte das alles erlebt, sie konnte Dinge erzählen, die in keinem Schulbuch stehen. Sie sprach von ihrer Kindheit während der Kaiserzeit vor dem Ersten Weltkrieg, und ich saß da und zog Vergleiche und wunderte mich darüber, wie enorm die Welt sich in siebzig Jahren ändern kann.
Der Mittwoch kam, und meine kleine reisefreudige Gnädige wurde von ihrem Sohn abgeholt.
„Na, wie geht es, Fräulein Allegra?“
„Oh, es geht gut. Ich habe es urgemütlich mit Ihrer Frau Mutter.“ „Meinen Sie es im Ernst?“
„Unbedingt. Ihre Mutter erzählt so lustig und so - ja, direkt so lehrreich aus ihrer Jugend, es macht mir furchtbar viel Spaß.“
„Sie glauben also, daß Sie in dieser merkwürdigen Stellung aushalten werden?“
„Sicher. Aber nur für ein Jahr. Sie wissen ja.“ Er nickte. Er kannte ja meine Situation und meine Zukunftspläne.
„Sie finden es vielleicht komisch, daß wir nicht meine Mutter in ein Altersheim gesteckt haben. Aber wissen Sie, sie hängt so an ihrem Zuhause, sie ist so fröhlich und unternehmungslustig, daß sie sich in einem Heim todunglücklich fühlen würde. Und warum sollte sie nicht hierbleiben? Sie kann es sich finanziell leisten, es geht nur darum, daß sie immer eine Betreuerin hat. Und Sie scheinen ja die Richtige zu sein, trotz Ihrer Jugend. Oder.“, fügte er hinzu, „oder -vielleicht gerade deshalb!“
Mutter und Sohn zogen los, ich erledigte schnell das kleine Mittagsabwaschen. Mittwochs aßen wir immer rechtzeitig, und mein freier Nachmittag wurde lang und ausgiebig. Das war ja auch meine einzige Gelegenheit, private Besorgungen zu machen. Heute mußte ich Schuhe kaufen. Ich konnte mir sogar ein Paar extra feine Qualitätsschuhe leisten, denn ich hatte mein Gehalt bekommen, eine
wirklich großzügige Summe.
Also nichts wie los - Einkaufstasche, Geld, Schlüssel, bloß nichts vergessen. Wenn Frau Felsdorf nicht zu Hause war, konnte ich ganz einfach die Wohnungstür hinter mir abschließen und das ganze Theater mit Hintertür und Einsteckschloß sparen.
Das Haus lag direkt am Park, und wenn ich den durchquerte, sparte ich Zeit. Außerdem war der Park zu dieser Jahreszeit so schön, daß es eine wahre Wonne war. Ich hatte auch daran gedacht, ein paar alte Brotreste für die Enten einzustecken. Gerade jetzt hatten sie Junge, und es machte immer Spaß, die kleinen, molligen Federbällchen zu füttern.
Bei dieser Beschäftigung war ich gerade, als ich eine ziemlich laute Stimme hinter mir hörte. „Allegra!“
Nanu, wer hatte mich gerufen? Ich drehte mich um. Einige Meter von mir entfernt stand ein junger Mann. Nun rief er wieder, klar und deutlich: „Allegra!“
Wer war das bloß? Ein lustiges, sommersprossiges Gesicht, eine kastanienbraune Haartolle, die ihm auf die Stirn fiel. Einer meiner alten Klassenkameraden? Einer, den ich seit drei Jahren nicht gesehen hatte? Jedenfalls war es einer, der meinen Vornamen kannte. Ich ging ein paar Schritte näher. „Ja?“ sagte ich fragend. Er guckte mich an, verständnislos. „Wieso ja? Sprechen Sie mit mir?“
„Sie haben mich doch gerufen!“
„Ich? Sie gerufen? Den Hund habe ich gerufen, das kleine Biest, es hat sich losgerissen und. Heißen Sie wirklich Allegra?“
„Ja, unbedingt. Bin so getauft worden.“
„Das ist aber ulkig. Aber die Hündin meines Chefs heißt auch so, und jetzt ist sie verschwunden, der Himmel weiß wohin, sie war wie ein Blitz.“
„Wie sieht sie aus?“
„Glatthaardackel, schwarz-braun, rotes Halsband und eine
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