Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
jeder Leine hing ein kleiner Fisch aus Blech. Aha, damit lockte man also die Fische an! Ich guckte mir die Leinen genauer an. Ganz richtig. Unter dem kleinen Blechfisch befand sich ein Angelhaken.
In einem Boot fühle ich mich so hilflos wie eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt. Meine bisherigen Bootsausflüge konnte ich glatt an den Fingern abzählen, dazu brauchte ich nicht einmal die zweite Hand.
Was ich an diesem Vormittag alles lernte!
Ich gebrauchte Ohren und Augen und versuchte, all die Worte zu behalten, die mir ganz neu waren: Bug und Achtersteven, Steuerbord und Backbord, Ducht, Öhsfaß und was es noch alles gab.
Das Angeln selbst spielte sich in einer merkwürdigen Weise ab. Wir nahmen jeder so ein Holzbrett in die Hand, warfen die Angel in die See, und ließen dann die Leine sich vom Brett abwickeln. Dann wurde das letzte Ende der Leine zusammen mit dem Brett um eine Ruderbank gewickelt, damit die anbeißenden Fische nicht mit der ganzen Leine davonschwimmen sollten. Mit einer Hand mußte man dann um die Leine fassen, und wenn man einen Ruck merkte, hieß es nur Leine reinziehen. „Nicht zu schnell, ganz regelmäßige Bewegungen“, ermahnte mich Katrin.
Bernt ruderte auch langsam und regelmäßig. Hier und da winkten wir anderen Anglern zu, die alle nach demselben seltsamen System ihr Glück versuchten. Diese Art des Angelns nennt man „dorge“, wurde mir erklärt.
Hinter dem Boot schleppten wir die Fischkiste mit. Es war eine viereckige Holzkiste mit vielen kleinen Löchern drin. Das Ding war also mit Wasser gefüllt; Wasser, das sich beim Rudern stets erneuerte. Im Deckel war eine Luke zum Öffnen, durch die wurden nun die Fische in die Kiste gesteckt und blieben dort bis zum Verzehr. Aber in frischem Salzwasser.
„Hoppla“, sagte Katrin. Sie zog ihre Leine ein, die eine Hand immer über der anderen, ganz regelmäßig. Dann das allerletzte Stück mit dem Angelhaken, im ausgestreckten Arm senkrecht aus dem Wasser, und - wuppti - ins Boot. Mit unglaublich geschickten Händen holte Katrin den Haken aus dem Maul eines zappelnden Dorsches, und ebenso geschickt öffnete sie die Fischkiste und ließ den Fisch runter in sein Gefängnis.
Es graute mir bei dem Gedanken, einen zappelnden Fisch anzufassen. Das blieb mir aber erspart. Als ich an der Reihe war, so einen Zappelfritzen an Bord zu ziehen, übernahm Bernt das Weitere.
Es machte Spaß. Als ich meinen zweiten Fisch glücklich ins Boot gebracht hatte, war ich beinahe stolz.
„Habt ihr hier immer Anglerglück?“ fragte ich.
„Ja, beinahe immer. Diese Bucht ist sehr fischreich“, erklärte Bernt. „Hoppla, da ist was Großes! Zieht die Leinen ein, ich lege die Ruder rein, muß mich um dieses Zappeltier kümmern - liebe Zeit, was wird das wohl sein!“
Die ganze Leine zitterte. Bernt zog langsam und regelmäßig, dann sah er anscheinend da unten im Wasser, was er an der Angel hatte.
„Allegra, nimm den Kescher, da, links - halt ihn unter den Fisch
- aber in Gottes Namen, was hast du?“
Ich hatte laut geschrien, und Bernt erzählte mir nachher, daß ich leichenblaß gewesen sei. Ich ließ den Kescher - das Fangnetz an einem langen Stiel - fallen, ich drückte mich so weit wie möglich weg von Bernt und von dem Ungeheuer, das er - ohne Kescher - ins Boot reinbugsierte.
„Weg damit!“ schrie ich. „Es ist eine Schlange - weg damit, laß sie nicht an mich heran - ich springe über Bord - wirf das Tier weg!“
Bernt überließ es Katrin, das „Untier“ vom Angelhaken zu lösen. Seelenruhig hielt sie es mit der linken Hand fest, während sie mit der rechten die Luke der Fischkiste aufmachte.
„So, Allegra, jetzt ist der Aal weg“, sagte Bernt ruhig. „Und wir haben Fische genug, wir hören jetzt auf. Komm, setz dich wieder hin!“
Er legte den Arm beruhigend um meine Schulter.
„Aber was ist denn mit dir, Allegra?“ fragte Katrin. „Hast du Angst vor einem Aal?“
„Ja“, schluchzte ich. „Vor allem was kriecht. Ich kann nichts dafür - ich kann keinen Regenwurm anfassen, ja kaum noch sehen -ich fiel beinahe in Ohnmacht, als ich einmal im Wald eine Blindschleiche sah - ich kann nichts dafür!“
„Heiliger Bimbam!“ sagte Katrin, und ihr Gesicht war ein einziges Staunen.
„Nein, Allegra, du kannst nichts dafür“, sagte Bernt mit seiner ruhigen Arztstimme. „Es gibt Menschen, die diese Schlangenangst haben, genau wie andere dieselbe Angst vor Katzen empfinden. Ein erfahrener und geduldiger Psychiater
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