Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
Fällt dir eine Kanüle auf den Tisch, dann gleich zu den gebrauchten Sachen legen und neu sterilisieren!“
Ich lernte die einfachen Urinuntersuchungen - die mehr komplizierten Tests machte Bernt selbst -, und ich lernte, wo jedes Instrument seinen Platz hatte.
Außer Sprechzimmer, Wartezimmer und Labor waren noch zwei winzige Räume da, das waren die „Ansteckungskabäuschen“, wie Katrin sie nannte. Wenn zum Beispiel ein Kind mit Ausschlägen oder einem verdächtigen Husten kam, durfte es nicht im Wartezimmer sitzen, sondern wurde in ein „Kabäuschen“ geschickt. In ihm standen zwei Stühle, einer für das Kind und einer für die Mutter. Zwei Haken an der Wand, eine kleine Ablage, weiter nichts.
„Die Ansteckungsverdächtigen immer so bald wie möglich drankommen lassen“, ermahnte mich Katrin.
Es war viel zu behalten, aber es machte mir Spaß. Und ich freute mich schon auf Frau Doktor Oberbachs überraschtes Gesicht, wenn ich erzählte, daß ich all diese Dinge schon kannte.
Ich gab mir redliche Mühe, und es ging im großen und ganzen gut. Nur hatte ich manchmal Schwierigkeiten mit der Verständigung. Wenn die Leute ganz gewöhnliches „Hochnorwegisch“ sprachen, ging es gut, aber die Patienten vom Lande, die Dialekt sprachen, brachten mich ab und zu zum Verzweifeln. Es kam vor, daß andere Patienten dann helfend einspringen mußten. Sie meinten alle, daß ich Schwedin sei, und ich ließ sie bei dem Glauben.
Was mir am meisten Spaß machte, war das Assistieren bei der Behandlung. Verbände machen, Kinder festhalten, Senkungsspritzen zurechtmachen, Impfmesser ausglühen und so was. Kurz gesagt, dabeizusein.
„Es geht ja gut, Allegra“, sagte Bernt nach meinem ersten selbständigen Tag in der Praxis. Und ich freute mich wie in der Schule, wenn meine deutschen Aufsätze gelobt wurden.
Lob gab es auch nachmittags zu Hause. Drei Abende saß ich über dem Babykörbchen und bezog es mit einem rosa-hellblau kleinkarierten Stoff. „Dann paßt es sowohl für einen Jungen als auch für ein Mädchen“, sagte die praktische Katrin.
Ich machte mir große Mühe, fabrizierte feine Krausen und Blenden mit den allerkleinsten Stichen, und das Resultat konnte sich wirklich sehen lassen.
„Lieber Himmel“, sagte Katrin. „Das Kind wird ja ganz verwöhnt
- es wird Komplexe kriegen, wenn es nachher von meinen Nähkünsten abhängig wird!“
Dann setzte ich mich hin und nähte Aufhänger an Handtücher, stopfte Bernts ganzen Vorrat an Wollsocken und fand ein Tischtuch
mit einem Loch von einem Zigarettenfunken.
„Beklag dich bei meinem Bruder“, sagte Katrin. „Er ist der einzige Raucher in der Familie.“
Leider bekam ich dazu keine Gelegenheit, da der rauchende Bruder in Amerika war. Das Loch in das gute Tischtuch hatte er bei einem Norwegenbesuch voriges Jahr gemacht.
Dafür lernte ich den anderen Bruder kennen, der mit Frau und zwei Kindern im Nachbarhaus wohnte, also in Katrins Elternhaus.
„Deine Schwägerin ist reizend“, sagte ich zu Katrin, als die Familie uns eines Abends besucht hatte.
„Ja, das ist sie. Kein Wunder, sie ist eine Kusine von unserer Beatemutti. Durch Anja lernte ich damals Beatemutti kennen und kam zu Familie Rywig als Haustochter, und das war das beste, was mir in meinem Leben passiert ist.“
„Ohne Anja hättest du also auch nicht Bernt kennengelernt?“ fragte ich.
„Eben! Ich habe also allen Grund dazu, Anja dankbar zu sein. Wir verstehen uns auch blendend, und wir lachen oft darüber, wie wütend ich war, als sie sich mit Andreas verlobte.“
„Warst du wütend? Warum in aller Welt.“
„Weil ich ein Schaf war! Ich platzte vor Eifersucht! Ich war stinkwütend, weil eine fremde Frau plötzlich auftauchte und mir meinen ältesten Bruder wegnahm. Ich wohnte ja mit meinen Brüdern zusammen und wollte, daß sie nur für mich dasein sollten. Ja, ja, so sagenhaft dumm kann man mit achtzehn Jahren sein!“
„Ich bin jetzt achtzehn, Katrin, aber ich glaube nicht, daß ich.“ „Nein, du würdest bestimmt vernünftiger sein. Aber du hast Eltern, die dich anscheinend ganz gut erzogen haben.“
„Danke für das Kompliment, ich werde es weiterleiten!“
„Das darfst du gern. Siehst du, ich verlor meine Eltern so früh, ich war immer ,die arme kleine Katrin’ und wurde verhätschelt und verwöhnt von besagten Brüdern. Nun ja, Beatemutti hat es dann geschafft, einen halbwegs brauchbaren Menschen aus mir zu machen, und was sie nicht fertigbrachte, das schaffte die
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