Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
hat, so daß Du doch Deinem Opa die Freude machen wirst, sein Geschäft zu übernehmen. Ich weiß nicht, was Du als Kind empfunden hast, als Deine Mutter heiratete und Dich bei den Großeltern zurückließ. Es ist eigentlich ein so komisches Gefühl, einen Freund zu haben - ja, denn ich betrachte Dich unbedingt als einen guten Freund - und nicht zu ahnen, wie es eigentlich in seinem Inneren aussieht! Ich frage mich manchmal, woran es liegt, daß Du so sehr nüchtern und so wenig mitteilungsfreudig bist. Wenn Du ein klein bißchen über Dich selbst erzählen würdest, würde ich es als Beweis dafür betrachten, daß Du Vertrauen zu mir hast und auch eine wirkliche Freundschaft.
„Allegra! Komm mal bitte runter!“
Der Kugelschreiber fiel mir aus der Hand. Es war etwas in Katrins Stimme, das mich dazu brachte, die Treppe runterzurasen.
Da stand sie mit einem verzerrten Gesicht und versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen. Es wurde aber eine Grimasse daraus.
„Allegra, es ist soweit - lauf bitte schnell rüber zu meinem Bruder, er oder Anja muß mich in die Klinik fahren, ich weiß ja nicht, wann Bernt - aua!“
Sie krümmte sich einen Augenblick vor Schmerz. Ich stützte sie und führte sie zu einem Sessel. Dann raste ich durch den Garten, rüber zum Nachbarsgrundstück, und durch die offene Tür, direkt in
die Küche, wo Anja beim Butterbrotmachen war.
„Anja, Katrin muß in die Klinik, Bernt ist noch nicht zurück von den Krankenbesuchen - kannst du.“
Anja feuerte die Küchenschürze in die Ecke, griff wie der Blitz nach Handtasche und Führerschein, rief den Kindern zu, sie sollten selbst die Brote fertig machen, sie käme in einer Stunde, und schon war sie unterwegs zur Garage.
Als ich zurück zu Katrin kam, war sie ruhig, sie hatte wohl eine Pause in den Wehen. Sie stand startklar vor dem Haus, mit dem seit Wochen fertiggepackten Köfferchen in der Hand.
„Na, dann paß auf meinen Mann und das Haus gut auf, Allegra -Bernt wird wohl gleich kommen, grüß ihn und sag, er soll vorsichtig zur Klinik fahren, bloß nicht rasen. Er soll an den Nachmittagsverkehr denken - du auch, Anja, es dauert wohl etwas, bis.“
Sie unterbrach sich selbst, biß sich auf die Lippe. Schweißperlen traten auf ihre Stirn.
„Hals- und Beinbruch, Katrin! Ich halte dir die Daumen!“
„Tu das, Allegra. Am liebsten auch die großen Zehen!“ Sie brausten los, und zehn Minuten später erschien Anjas Mann, der anscheinend angeln gewesen war, denn er trug zwei große Dorsche -zum Glück keinen Aal.
„Hätte sie nun nicht die paar Minuten warten können“, sagte Andreas. „Na, vielleicht hat sie es so eilig wie Anja beim ersten Kind. Es war ein Glück, daß es nicht im Auto zur Welt kam, es fehlte nicht viel! Kommst du mit rüber zu uns?“
„Nein, ich muß ja auf Bernt warten - oh, da ist er ja!“ Ich rannte hin zum Auto und brauchte nur drei Worte zu sagen, dann reichte Bernt mir seine Besuchstasche.
„Stell bitte die Tasche ins Untersuchungszimmer, Allegra, und wenn Patienten anrufen, dann müssen sie sich an den Notarzt wenden, die Telefonnummer steht auf dem Block.“
„Bernt, ruf mich an, wenn das Kind da ist! Wenn es auch mitten in der Nacht wird. Ich schlafe unten, dann höre ich das Telefon.“ „Mache ich. Vergiß nicht, alles abzuschließen, wo du allein im Haus bist. Also, tschüß!“
Schon wendete er das Auto, und ich konnte ihm Katrins Ermahnungen nur nachrufen.
Es war spät am Abend. Vier Stunden waren vergangen, seit Anja mit Katrin losfuhr. Vielleicht würde es noch lange dauern. Ich wußte, daß es Frauen gibt, die sich vierundzwanzig Stunden abquälen müssen, aber ich wußte auch, daß manche es ruckzuck schaffen, so wie zum Beispiel Anja.
Ob Katrin sehr leiden muß?
Sie war selbst so ruhig gewesen. „So sind wir nun alle auf die Welt gekommen“, hatte sie schmunzelnd gesagt. „Es wird wohl für mich nicht schlimmer sein als für andere. Und sollte es sehr weh tun, dann werde ich mir selbst sagen: ,Es geschieht dir recht, Katrin, so weh hast du auch deiner Mutter getan!’“
Ich aß ein bißchen Abendbrot, und dann holte ich meine Schreibsachen aus meinem Zimmer und fuhr fort, Hartmut zu schreiben:
Hier wurde ich unterbrochen. Katrin mußte in die Klinik, jetzt erwarte ich jede Minute und jede Sekunde einen Anruf, daß das Kind geboren ist.
Aber zurück zu dem, was ich schrieb, bevor ich unterbrochen wurde: Erinnerst Du Dich an den Sonntag, als Du mich nach Hause zu meinen Eltern
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