S - Spur Der Angst
erwiderte Charla hitzig.
»Aber die Ehe der beiden funktioniert, obwohl er die meiste Zeit über hier ist und sie in Seattle?«
»Das macht es leichter für sie«, erklärte die Sekretärin mit einer Spur von Bitterkeit.
»Für ihn doch auch. Ohne seine Frau kann er doch tun und lassen, was er möchte.«
Charla fuhr empört zu Jules herum. »Wollen Sie damit andeuten, Tobias Lynch würde seine Frau betrügen?« Sie war außer sich. »So etwas würde er niemals tun! Er ist kein Ehebrecher.«
»Und Cora Sue?«
Charla erstarrte. »Das geht weder Sie noch mich etwas an«, sagte sie. »Reverend Lynch ist ein guter Mann! Gütig und voller Gnade …« Die Worte verklangen, als hätte sie noch etwas hinzufügen wollen, es sich dann aber anders überlegt.
»Selbst wenn seine Frau …?«, bohrte Jules nach.
»Cora Sue ist nicht … so engagiert wie der Reverend.« Charla warf Jules einen scharfen Blick zu. In ihren Augen stand Missbilligung. Sie wusste, dass die Ehe der beiden zerrüttet war, was offenbar an Cora Sue lag. Mit vor Kälte geröteten Wangen setzte sie sich schließlich wieder in Bewegung.
Jules hielt mit ihr Schritt und beschloss, die Frau noch weiter auszufragen. »Bei meinem Vorstellungsgespräch habe ich festgestellt, dass Reverend Lynch nicht nur Prediger ist, sondern auch einen Doktortitel besitzt. Darf ich fragen, in welchem Fach er ihn erworben hat?«
Charlas strahlendes Lächeln kehrte zurück. »Er hat sogar zweimal promoviert – in Psychologie und Religionswissenschaften. Der Reverend ist extrem gebildet, einer der ehrwürdigsten Theologen an der Westküste, der sich mit absoluter Hingabe seinen Schülern widmet.«
Jules nahm an, dass Lynchs völlig vernarrte Sekretärin die Dinge ein wenig übertrieb, dennoch sagte sie: »Ich weiß, dass er ein wahrer Mann Gottes ist. Deswegen unter anderem habe ich mich um diese Stelle beworben. Wie Reverend Lynch möchte ich mich für junge Menschen engagieren.«
Zumindest der letzte Teil stimmte, und Charla schien ihr zu glauben.
»In dem Lehrplan, den ich von meiner Vorgängerin Ms. Howell bekommen habe, sind einige Lücken, die ich gern füllen würde«, wechselte Jules geschickt das Thema.
Charla versteifte sich sichtlich. »Sie ist schon eine ganze Weile nicht mehr bei uns. Studienrätin Hammersley und Mr. Taggert sind bislang für sie eingesprungen. Wenn es Lücken gibt, sollten Sie mit ihnen sprechen.«
»Ich dachte nur, dass Sie als Koordinatorin für die ganze Schule vielleicht eine Idee haben, wo ich Ms. Howells Aufzeichnungen und einen detaillierten Lehrplan finde.«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte die Sekretärin, doch in ihren Augen funkelte es, als würde sie liebend gern ein wenig Blue-Rock-Tratsch preisgeben. »Ich bin mir sicher, dass sämtliche Unterlagen, über die die Schule verfügt, in dem Ihnen ausgehändigten Ordner zu finden sind.«
»Ich dachte nicht zuletzt auch an ihre Beurteilungen, die Schüler betreffend. Sie hat mit ihnen gearbeitet und muss sie demnach gut gekannt haben.«
Charla seufzte. »Ich sollte wirklich nicht über sie sprechen.«
So viel zum Thema Solidarität. »Wegen der Anklage?«
»Die wurde fallengelassen«, versetzte Charla mit Nachdruck, dann fing sie sich wieder. »Vor kurzem erst … Aber ich denke, das ist kein Geheimnis. Man hat Maris mit einem ihrer Schüler erwischt, Ethan Slade. Verständlicherweise waren seine Eltern außer sich.«
»Er ist doch an der Schule geblieben, oder?«
»O ja. Er ist zum CB ernannt worden und wird seine Collegeausbildung hier in Blue Rock absolvieren – und zwar gratis. Das war Teil der Abmachung, die seine Eltern ausgehandelt haben. Maris wurde entlassen, doch selbst der Staatsanwalt hat einen Rückzieher gemacht. Die Anklage wurde fallengelassen.« Was Charla offensichtlich missbilligte. Als würde ihr plötzlich klar, dass sie zu viel verraten hatte, beschleunigte sie ihre Schritte.
»Das hier ist unsere Sporthalle«, erklärte sie und deutete mit großer Geste auf ein riesiges Gebäude mit einem gewölbten Dach. »Alle Schüler sind verpflichtet, Sport zu treiben und Kurse in Überlebenstraining zu absolvieren. Sie werden von Mr. Trent angeleitet, den Sie bereits kennengelernt haben. Er ist noch relativ neu an der Schule, doch er arbeitet mit allen Kindern, und sein Angebot ist nicht auf Hallensportarten beschränkt. Mr. Trent verbringt einen Großteil seiner Unterrichtsstunden draußen. Er bietet alles an: angefangen bei Fußball, über
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